piwik no script img

Demonstranten stürmen Parlamentsgelände

In Indonesien debattiert das Parlament die Amtsenthebung von Präsident Wahid, während seine Anhänger draußen und in der Provinz randalieren

BERLIN taz ■ Im indonesischen Parlament hat sich bei der gestrigen Sitzung eine große Mehrheit für die Amtsenthebung des seit Oktober 1999 amtierenden Präsidenten Abdurrahman Wahid abgezeichnet. Sieben der zehn Fraktionen befürworteten laut indonesischem Fernsehen die Einberufung der Beratenden Volksversammlung (MPR), die allein über die Abberufung des Staatsoberhauptes entscheiden kann.

Demnach stützen nur zwei Fraktionen den ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes. Die Fraktion der Vertreter des Militärs wollte sich enthalten und anschließend die Mehrheit unterstützen, befürwortet aber auch eine Klärung des Machtkampfs durch die MPR. Noch am späten Abend wollten die Abgeordneten über die Amtsenthebung abstimmen. Zuvor war bereits ein Antrag von Wahids „Partei des Nationalen Erwachens“ auf Nichtbefassung abgelehnt worden.

Am Tag hatten 5.000 Anhänger des Präsidenten vor dem Parlament demonstriert, wo sie eine Übermacht an Sicherheitskräften erwartete. Trotzdem gelang es etwa 1.000 meist mit Knüppeln bewaffneten Demonstraten, die Absperrungen zu durchbrechen und auf das Parlamentsgelände vorzudringen. Nach zwei Stunden beugten sich die Demonstranten jedoch einem Ultimatum der Polizei und zogen friedlich wieder ab. Einige kündigten an, zum Präsidentenpalast ziehen zu wollen, um Präsident Wahid zur Ausrufung des Notstands zu drängen. Wahid soll dies bereits am Montag versucht haben, fand dafür aber keine Unterstützung im Kabinett und beim Militär. Der Notstand würde ihm die Auflösung des Parlaments ermöglichen. In Jakarta kursierten gestern Gerüchte, dass Wahid den Parlamentsbeschluss zur Amtsenthebung mit der Erklärung des Notstands beantworten würde.

Bei Demonstrationen von Wahid-Anhängern in Ostjava, der Hochburg des Präsidenten, gab es gestern einen Toten. In der Stadt Pasuruan wurde laut Informationen aus dem örtlichen Krankenhaus ein Demonstrant von der Polizei erschossen, vier weitere erlitten Schussverletzungen. In der Stadt Malang feuerte die Polizei Warnschüsse ab. In der Region demonstrieren Wahid-Anhänger bereits seit Tagen zum Teil gewaltsam gegen dessen drohende Amtsenthebung.

Der 60-jährige Wahid, dem die Verantwortung für die Veruntreuung von umgerechnet 12 Millionen Mark in zwei Finanzskandalen vorgeworfen wird, hat für den Fall seiner Amtsenthebung mit dem Zerfall Indonesiens und der Gewalt seiner Anhänger gedroht. Noch gestern erklärte sein Sprecher Yahya Staquf laut Jakarta Post: „Präsident Abdrurrahman wird nicht zurücktreten. Das ist sicher, weil sein Rücktritt hohe politische und soziale Kosten haben würde.“ Wahid war bereits zweimal vom Parlament gerügt worden und hatte nach Meinung vieler Abgeordneter nur unzureichend darauf reagiert. Wahid wies jede Verantwortung für die Skandale von sich. Am Montag sprach ihn auch der Generalstaatsanwalt von jeder Schuld frei.

Die 700-köpfige Beratende Versammlung (MPR) ist das höchste Verfassungsorgan. Sie setzt sich aus den 500 Parlamentariern sowie den 200 Vertretern von Regionen und gesellschaftlichen Gruppen zusammen und dürfte in spätestens zwei Monaten Wahids politisches Schicksal endgültig besiegeln. Der MPR steht der Wahid-Rivale Amien Rais vor. Im Falle von Wahids Sturz dürfte jedoch Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri neues Staatsoberhaupt werden. Sie war in letzter Zeit zu ihm auf Distanz gegangen und suchte die Nähe zu hohen Militärs. Angebote Wahids mit ihr die Macht zu teilen blieben ebenso erfolglos wie Versuche, Wahid zum gesichtswahrenden Rücktritt zu bewegen. SVEN HANSEN

kommentar SEITE 15

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen