: My Hochhaus is my Castle
■ Eine Art edition Kattenturm: Über 100 Kinder und Erwachsene haben überlegt, was „Zuhause“ ist. Daraus entsteht jetzt ein Buch mit schrägen Häusern und Gedichten
Kattenturm ist Kattenturm. Hochhäuser, Hauptstraßen, zwei Einkaufscenter, Vorgärten, in denen Kartoffeln angebaut werden. Kleinwagen in Rostbraun, darin sitzen Frauen mit Kopftüchern. Auf der Straße stehen junge Männer, die aussehen wie große Kinder und wissen wollen, warum man so blöd guckt, wenn man guckt. Kattenturm ist das, was man einen problematischen Stadtteil nennt. Jedenfalls dem Vorurteil nach.
Im Urteil seiner Bewohner sieht die Sache schon ganz anders aus. Keines der Kinder, keiner der Erwachsenen hat sich im Projekt „Zuhause“ vom Kulturpunkt Kattenturm über sein Viertel im Bremer Süden beschwert. Seit zwei Wochen fertigen Große und Kleine in der Druckwerkstatt des Kulturvereins Quartier dort Buchseiten zum Thema „Zuhause“. Zitate, Zeichnungen, Worte und Gedichte, Linoldrucke, Radierungen; alle diese Seiten werden von den Künstlern und Mitarbeitern der Kulturwerkstatt im Laufe der nächsten Wochen zu Büchern zusammengefügt. 1.500 Stück sollen im Stadtteil verkauft werden – jedes davon ein Unikat.
Wenn man durch die fertigen Seiten blättert, gewinnt man den Eindruck: in Kattenturm leben genauso viele Mäuse wie Menschen. Die Haustiere waren für die Kinder, die aus den Grundschulen und Kinderhorten des Stadtteils kommen, neben den Familien das Wichtigste. Und weil ihr Stadtteil Kattenturm heißt und nicht Schwachhausen oder Ostertor, sind es weniger Hund oder Katze als vielmehr Maus und Ratte, mit denen die Kinder ihr Zimmer teilen. Die wurden nicht nur in Linol geschnitten und in Stahl geritzt – sie wurden auch wortreich bedichtet.
Zu Hause ist meine Maus im Haus die andere läuft hinaus
mein Hase der ist gern im Stall
mein Meerschweinchen spielt gerne Ball.
So wird aus Kattenturm Absur-distan, und Dada geht dahin zurück, wo es herkommt. Sind schon die Sprüche und Gedichte ganz bezaubernd, so werden sie durch den freihändigen Druck zu kleinen Kunstwerken. Buchstaben tanzen aus der Reihe oder sind versehentlich spiegelverkehrt, Rechtschreibung spielt keine Rolle, Groß- und Kleinschreibung? Nicht wichtig. Was wirklich wichtig ist:
zu Hause ist unsere Mutter
und macht für uns futter.
Zuhause. Für einen kleinen Jungen aus dem Libanon sind es Flugzeuge und Soldaten, Leute die weglaufen und Leute die schießen. Nur ein Junge aus einer Integrationsklasse – von ihm wird angenommen, er sei autistisch – hat eine Burg gemalt mit Zinnen und Türmen. Während des Kurses hat er, den seine Lehrerinnen noch nie reden hörten, gesungen.
Das sind die Höhepunkte der soziokulturellen Arbeit. Aber Tiefpunkte hat es bei diesem Projekt den beiden Mitarbeiter des Quartier-Vereins Christian Auer und Arnold Stach zufolge ohnehin nicht gegeben. Vielleicht war die eine oder andere Ebene zu durchschreiten.
„Als erstes haben viele Kinder das Lineal aus der Mappe geholt“, sagt der Künstler Stach. Werden Grundschulkinder tatsächlich immer noch zum Zeichnen mit Lineal angehalten? Man fragt sich das vor allem angesichts der wunderbar verbeulten Häuser, Kinderzimmer und Küchen, die am Ende in lila, orange und grün oder in allen Farben zusammen erscheinen. „Die meisten Kinder haben ihre Freiheit genutzt“, sagt Stach. Nicht alle. Obwohl das frei stehende Einfamilienhaus wirklich nicht gerade die Wohnwirklichkeit in Kattenturm wiedergibt, entkamen viele Kinder dem deutschen Klischee-Zuhause nicht.
Aber auch diese Bilder finden ihren Platz in den Büchern, die jetzt im schönen Längsformat gebunden werden. Die Kunst der Soziokultur ist es ja gerade, dem Sammelsurium alltäglichen Ausdrucks eine Form zu geben und sie so der Beliebigkeit zu entreißen. In der Druckwerkstatt des Quartier e.V. in Kattenturm scheint das gerade zu gelingen.
Elke Heyduck
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