: Leben und Sterben in Berlin
„Wir waren die ersten . . . Türkiye’den Berlin’e“: Eine Ausstellung und Filmreihe über die Lebenswelten türkischer Gastarbeiter im KreuzbergMuseum
Ein freudiges Aufatmen ging durch Kleinasien, als Theodor Heuss bei einem Türkeibesuch 1957 verkündete, „dass die schnell wachsende deutsche Wirtschaft ausländische Arbeitnehmer aufnehmen wolle“. 1961 machte sich dann offiziell eine 93 Mann starke Gruppe unzufriedener und arbeitsloser Türken auf den Weg nach Deutschland. Gleichzeitig öffneten bilaterale Anwerbeabkommen die Bundesrepublik für vor allem kräftige und gesunde Anatolen.
Mit diesen „Gastarbeitern“ begann bekanntlich die inzwischen 40 Jahre dauernde Geschichte der Türken in Deutschland, deren Anfänge und späteren Lebenswelten das KreuzbergMuseum mit der Ausstellung „Wir waren die ersten . . . Türkiye’den Berlin’e“ auf schön akribische Weise zeigt. Man kann besichtigen, wie die Tapeten aussahen in den Wohnheimzimmern in der Adalbertstraße, Tonbandberichte hören von den ersten Ausflügen zu Karstadt am Hermannplatz, liest nach, wie es für die fingerfertigen türkischen Frauen war, am Fließband Telefone und Fernsehgeräte zu montieren.
Hübsche private Eindrücke aus türkischen Lebensgeschichten also. Der Versuch, mit Alltagsschnipseln ein differenziertes Bild der ersten Generation türkischer Einwanderer zu vermitteln, ist überaus gelungen. Ergänzt wird das Ganze durch eine Filmreihe, die jeden Sonntag türkische Filme zeigt: Dokumente der Migrationsgeschichte wie der traurige Klassiker „40 qm Deutschland“ oder ein Film mit dem großartigen Titel „Ich Chef , du Turnschuh“. Die Helden dieser Filme erleben Deutschland gemeinhin als „falsches Paradies“ oder „bittere Heimat“. Unter dem Druck der Sitten und Gebräuche gibt es ständig Familienstreitereien. Trennungen, Tode und das Leiden an sich werden zu einem Teil des Lebens.
Während solche Filme heutzutage wie unfrohes, aufklärerisches Lehrmaterial über die fremden Mitbürger im Land wirken (und dementsprechend vor allem in den dritten Programmen und im Sozialkundeunterricht gezeigt wurden), weisen die neueren Beiträge der Filmreihe in eine heiterere Zukunft. Hier boxen die jungen deutsch-türkischen Frauen („Ein Mädchen im Ring“), spielen Fußball oder sind Immobilienmaklerinnen („Zwischen Kebab und Karriere“). Mit Klischees über die zweite und dritte Generation der hier lebenden Türken wird abgerechnet. Man befinde sich keinesfalls „zwischen zwei Stühlen“, sondern habe eine eigene Kultur: eine Art Synthese aus türkischen Traditionen der Eltern und deutscher Einflüsse, wie es die jungen türkischen Gaststättenbesitzer, U-Bahnfahrer und Juso-Mitglieder unisono gegenüber der Kamera erklären. Wunderbar pathetisch klingt es, als der DJ einer türkischen Diskothek in Charlottenburg verkündet: „Ich will in Berlin sterben.“ KIRSTEN KÜPPERS
„Zwischen Kebab und Karriere“ am 3. 6; „40 qm Deutschland“ am 10. 6., jeweils 16 Uhr, begleitend zur Ausstellung „Wir waren die ersten . . . Türkiye’den Berlin’e“ im KreuzbergMuseum, Adalbertstraße 95a
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