: „Nicht bis 2099 warten“
Der Bundestag beschäftigt sich mit der Frage der Unterstützung für DDR-Dopingopfer. Politiker verschiedener Parteien befürworten die Einrichtung eines Fonds
BERLIN taz ■ Die 173. Sitzung des Deutschen Bundestags endete mit Drucksache 14/5674. Eine nüchterne Zahl, mit der die Opfer des systematischen Dopings in der DDR nun politisch im hohen Haus verwaltet werden. Auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion wurde über die Einrichtung eines Fonds zur Unterstützung der Dopingopfer beraten. Eine halbe Stunde lang. Kurz vor Mitternacht war Schluss. Zu diesem Zeitpunkt saßen noch 21 Abgeordnete im Plenarsaal.
Als der sportpolitische Sprecher der CDU, Klaus Riegert, schließlich das Wort ergriff, waren die Parlamentarier von der Debatte über den Armuts- und Reichtumsbericht offenbar so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass sie scharenweise den Saal verließen. Politiker der PDS zeigten ostentativ Desinteresse. Die eine beschäftigte sich dringend mit ihrem Handy, ein anderer plauderte munter, just als Riegert ein bisschen in Schwung kam und die „verwerflichen Methoden und Machenschaften des DDR-Sportsystems“ an den Pranger stellte.
Politiker aller Fraktionen hatten sich zu Wort gemeldet, nur die Rede von Radsportidol Gustav-Adolf „Täve“ Schur (PDS) fiel aus. Er gab seinen Beitrag lediglich zu Protokoll, obwohl er vor Ort im Bundestag war, jedoch nicht an der Beratung teilnahm. Riegert sagte, er bedauere, dass seine Partei „nicht schon früher die Initiative ergriffen“ habe und stellte ein Modell zur Finanzierung vor, an dem sich sowohl der Staat und die Wirtschaft als auch die Sportverbände (Nationales Olympisches Komitee, Deutscher Sportbund) beteiligen. Dieter Herrmann (Grüne/Bündnis 90) und Götz-Peter Lohmann (SPD) unterstützen die „Dreierkonstruktion“. „Auch die Pharmaindustrie wird sich der moralischen Verantwortung stellen müssen“, sagte Riegert. Dass es sich für die Bundesregierung um eine rein moralische Verpflichtung handelt, unterstrich Lohmann.
Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden besteht keine „Funktionsnachfolge“ der Bundesregierung. Ob das NOK die Erblast des DDR-NOK zu tragen hat, wird aufgrund einer Klage der früheren Schwimmerin Karen König entschieden (die taz berichtete). Lohmann, der als Trainer in Neubrandenburg die Verabreichung von Dopingmitteln an Sportler abgelehnt hatte, sagte: „Moralische Kategorien müssen die rechtlichen überwiegen.“
Über die Summe besteht Uneinigkeit. Während die CDU einen Betrag zwischen 10 und 30 Millionen Mark für sinnvoll hält, sieht die SPD damit falsche Versprechungen geweckt. Überdies muss in den Ausschüssen demnächst geklärt werden, wer für welche Schädigung wie viel Geld erhält. Klaus Kinkel stellte fest, dass bisher „fast nichts geschehen ist“. Der FDP-Politiker sagte: „Das kostet ein bisschen Geld, aber daran kann es doch nicht scheitern.“
Kinkel schätzt die Zahl der Opfer auf „100, 200, vielleicht 300“. Tatsächlich liegt sie weit höher. Birgit Boese, einst Kugelstoßerin beim TSC Berlin, ist eine der Betroffenen. Sie leidet unter schweren Stoffwechselstörungen. Nach der Beratung sagte sie: „Ich hoffe, dass es endlich mal zur Sache geht. Die Politik kann natürlich vom Hundertsten ins Tausendste geraten, aber es muss endlich gehandelt werden. Ich will nicht bis 2099 warten.“
Im Herbst wird eine zweite Lesung erwartet. Der Fonds freilich, so viel scheint sicher, wird sich auch danach nur spärlich füllen. Und es wird quälend lange dauern. MARKUS VÖLKER
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