: „Ich habe abgetrieben“
■ Heute vor 30 Jahren bekannten sich prominente Frauen öffentlich im „Stern“ zur strafbaren Abtreibung
„Ich habe abgetrieben“ – das erklären an einem 6. Juni 28 Frauen auf dem Titel des Stern, darunter Romy Schneider, Vera Tschechowa oder Senta Berger. 30 Jahre ist das jetzt her. Nicht nur die 28 Titelfrauen, sondern 374 Frauen insgesamt bekennen sich zu der damals noch strafbaren Abtreibung. Ihr Ziel: Es sei Sache der Frau zu entscheiden, ob, wann und wie viele Kinder sie bekommt. „Eine Frau, die ihre Leibesfrucht abtötet oder eine Abtötung durch einen anderen zulässt, wird mit Gefängnis, in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft“, so lautet der Paragraph 218 im Strafgesetzbuch.
„Wir haben gleich nachgesehen, ob auch Bremerinnen unter den 374 waren“, gibt der damalige Bremer Oberstaatsanwalt nach Erscheinen der „Stern“-Ausgabe zu Protokoll. Und? „Es waren keine dabei!“
Noch waren keine dabei. Wenig später sammeln auch Frauen in Bremen Unterschriften gegen den Paragraphen 218 und bekennen: „Ich habe abgetrieben.“ Eine von ihnen ist Ursel Kerstein, später die erste Landesfrauenbeauftragte. 1971 ist sie SPD-Mitglied und hat eine Karriere vor sich. Abgetrieben hat auch sie. Bei einem Hamburger Arzt, „einem alten Tattergreis, der hat mich noch chloroformiert.“ Angst hat sie da, und Glück. Längst nicht jede Frau übersteht die Prozedur ohne Schaden. Eine Million Frauen, so Schätzungen jener Zeit, treiben in Deutschland jährlich ab, 250 sterben dabei.
Ursel Kerstein will sich schon 1970 selbst anzeigen „und auf die Heuchelei hinweisen.“ Fast alle ihre Freundinnen haben abgetrieben. „Mach das nicht, du kriegst nur Ärger“, habe ein Freund ihr jedoch geraten, und Ursel Kerstein hört darauf. „Ich hatte eine Politkarriere vor mir“, so die langjährige Bürgerschaftsabgeordnete, „aus Feigheit habe ich's gelassen.“
Doch nachdem die „Stern“-Kampagne angelaufen ist, steht Ursel Kerstein mit etwa zehn Genossinnen vom SPD-Ortsverein Altstadt am Ostertorsteinweg, bekennt sich und sammelt Unterschriften. Ihre damals 59-jährige Mutter, erinnert sie sich, habe als Erste unterschrieben.
Die Frauen bekommen viel Zuspruch, gerade von Frauen. Aller Altersgruppen. Aller sozialen Schichten. Auch Männer unterschreiben gegen den Abtreibungsparagraphen. Beschimpfungen gibt es auch. „Mörderinnen“, ist so eine Anmache, oder „Geht doch nach drüben“, eine andere. Kerstein: „Das habe ich eigentlich immer gut weggesteckt.“
Ursel Kerstein sitzt auf vielen Podien. Eine häufige Kontrahentin war Karin Stieringer von der CDU. „Die hatte vier Kinder und war voll gegen Abtreibung. Mit der habe ich mich fürchterlich gefetzt.“ Doch die Bremer CDU ist sich keineswegs einig in ihrer Haltung zu dem bekämpften Paragraphen. Vor allem die Junge Union mit ihrem Vorsitzenden Bernd Neumann hält eine – liberalere – Neuregelung des 218 für dringend notwendig.
Um die 10.000 Unterschriften schicken Ursel Kerstein und Co. an den damaligen SPD-Justizminister Gerhard Jahn. Im November 1971 demonstrieren rund 500 GegnerInnen des 218 in der City.
Vom Justizministerium bekommen die Frauen nicht mehr als eine Zusage über den Eingang ihrer Unterschriften. Die dann vom Bundestag beschlossene Fristenlösung – straffreie Abtreibung in den ers-ten drei Monaten – wurde vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Das war 1975, dem Internationalen Jahr der Frau. Ein Jahr später beschließt der Bundestag das so genannte Indikationsmodell: Abtreibung ist strafbar, aber es gibt Ausnahmen. Seit 1995 ist Abtreibung – nach zwangsweiser Beratung und einem Schein darüber – straffrei.
Jetzt, im Juni 2001 kreuzt vor der irischen Küste ein Greenpeace-Schiff, auf dem Irinnen abtreiben können. In Irland ist das verboten. „Das ist doch Wahnsinn“, sagt dazu Ursel Kerstein und fasst sich an die Stirn, „da muss ein Schiff aus Holland da hinfahren, damit Frauen zu ihrem Recht kommen.“
sgi
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen