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„Ich nehme nichts zurück“

Interview KARSTEN KREDEL

taz: Mr. Seale, sind die Black Panthers heute nur mehr ein Relikt?

Bobby Seale: Die Black Panthers sind wirkliche Menschen. Ich stehe in Verbindung mit mehr als 1.200 Leuten, die früher Mitglied der Black Panther Party waren. Nach dem Tod des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King im April 1968 schlossen sich uns mit einem Mal Tausende junger Leute an. Viele von ihnen unterbrachen ihr Studium und gingen Jahre später an die Uni zurück. Heute kandidieren wir für politische Ämter, machen Sozialarbeit, arbeiten als Anwälte. Wir leben noch. Wir haben dieselben Anliegen wie in den Sechzigern. Heute schicken wir unsere Kinder ins College, und sie begreifen sehr gut, was noch zu tun ist.

Würden Sie sagen, dass Sie sich als politische Person seit Gründung der Black Panther Pary 1966 verändert haben?

Als ich mich 1962 der Bürgerrechtsbewegung anschloss, war ich 26 Jahre alt und studierte technisches Design. Ich vertiefte mich in die Geschichte antikolonialer Befreiungsbewegungen, in die Geschichte der amerikanischen Ureinwohner und formte meine politische Weltanschauung. Dann wurden plötzlich auf friedliche Demonstranten geschossen. Für meinen Freund Huey P. Newton, der damals Jura studierte, und mich war das eine Verletzung grundlegender Bürgerrechte. Also gründeten wir eine Organisation, bei der es um das Recht auf Selbstverteidigung ging: die Black Panther Party for Self-Defense. Wir beobachteten die Polizei – mit Schrotflinten, Gesetzestexten und Aufnahmegeräten. Und als sie unsere sahen, ließen die Cops ihre Waffen stecken. Es ging um politische Organisation in einem grundlegenden Sinn: Wenn wir die Leute im Stadtviertel erreichen, können wir sie organisieren, ihre Wählerstimmen bündeln, um bessere, nicht rassistische Gesetze zu erreichen. Es ging um verfassungsmäßige Bürgerrechte für alle, und dafür stehe ich auch heute noch ein. Ich habe mich nicht verändert, und ich nehme nichts zurück. Sie attackieren uns nicht mehr wie damals. Aber wenn jemand käme, um mir meine sozialen Aktivitäten zu verbieten, würde ich jederzeit wieder zu einer Waffe greifen und auf meinem Recht bestehen.

Vieles, wogegen Sie damals aufbegehrten, hat sich kaum verändert: Der afroamerikanische und hispanische Anteil der Gefängnisinsassen ist unverhältnismäßig hoch, schwarze Kinder haben nach wie vor nicht gleiche Bildungschancen, die Segregation in den Städten dauert an, und die Polizei ist immer noch eine tödliche Bedrohung für schwarze Jugendliche. War der Kampf vergeblich?

Es stimmt, aufgrund des institutionalisierten Rassismus und aufgrund der Gesetze, wie sie nun mal sind in den USA, existieren diese Dinge auch weiterhin. Und wir suchen weiter nach Lösungen. Ich selbst arbeite zurzeit in einem Projekt, das sich um benachteiligte Kids in Philadelphia kümmert. Es gibt immer noch Polizeiübergriffe, aber in den Fünfzigern und Sechzigern waren sie ungleich schlimmer. Anders als heute wurde damals kein einziger Polizist vor Gericht gestellt. Wichtig ist: Mit unseren damaligen Aktivitäten waren wir Teil eines 200 Jahre währenden Kampfes für Bürgerrechte. Und darum war nichts umsonst!

Es gibt eine Kontinuität von sozialen Bewegungen, nicht nur von Afroamerikanern, sondern auch von armen Weißen in den Appalachen, die sich den Arsch aufreißen, um Gewerkschaften zu gründen und einen grundlegenden Lebenstandard zu sichern. Alle diese Kämpfe sind miteinander verknüpft und voneinander abhängig, besonders unter den Bedingungen der Globalisierung. Es sind menschliche Befreiungskämpfe, und sie gehen weiter. Es geht darum, ethnische und kulturelle Grenzen zu überschreiten und zu einem Verständnis von globalen Menschenrechten zu gelangen.

Die Black Panthers wurden zu einem Symbol für Widerstand. Sie übten eine große Anziehungskraft aus, boten eine Identifikationsfläche für Tausende. Andererseits war es etwa für das FBI auch einfach, sie zu Terroristen abzustempeln.

Wir brauchten 1966 einen Namen und wir wählten den „schwarzen Panther“. Innerhalb von sechs Monaten wurden wir vom kalifornischen Gouverneur Ronald Reagan als Gangster und Terroristen bezeichnet, das Unterwanderungsprogramm des FBI lief auf Hochtouren, und die Mainstream-Medien übernahmen deren Propaganda. Unser Antrieb sei Hass und unser Ziel, in weißen Gegenden Terror zu verbreiten, hieß es. Die Hälfte der Amerikaner schluckte das. Aber es gab auch viele Millionen, die die unabhängige, kritische Presse lasen und es besser wussten. Ohne unser Black-Power-Image hätten wir niemals so schnell so viele Leute angezogen. 1969 hatten wir unser Frühstücksprogramm für Schulkinder in schwarzen Communities über das ganze Land verbreitet; wir machten jeden Morgen Essen für 250.000 Kinder. Mit solchen Aktionen kämpften wir gegen die Stigmatisierung.

Es war auch eine sehr amerikanische und männliche Bildsprache: ein cooler, starker Typ mit einer Knarre. Gleichzeitig wollten Sie innerhalb der Bewegung das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern aufheben. Wie sehen Sie diese Dinge im Rückblick?

Drei junge Männer, Newton, Eldridge Cleaver und ich, waren an der Spitze der Black Panthers. Und wenn wir nach ein paar Tagen im Knast zurück in unser Viertel in Oakland kamen, waren wir Helden – junge männliche Helden! Alle jungen Frauen wollten uns! Am Anfang waren wir zu drei Vierteln Männer. Aber als wir dann überall im Land unsere Zellen hatten, kippte das, und plötzlich waren wir zu zwei Dritteln Frauen. Dieses männliche Image könnte mit einer Vorstellung von historischer Schuld schwarzer Männer, niemals ihre Leute befreit zu haben, zu tun haben. Das haben wir natürlich nicht so gedacht. Ich wollte nie ein Supermann sein, sondern einfach ein guter Mensch.

Die politisch bewusstesten Afroamerikaner sind heute Angehörige einer gebildeten Mittelschicht: Akademiker, Künstler, Leute mit guten Jobs. Setzen Sie Hoffnungen in diese gesellschaftliche Gruppe?

In wen denn sonst? Es ist schwer, einen Kleinkriminellen zu organisieren – er wird dich am nächsten Tag verraten. Es waren vor allem solche Leute, die das FBI damals benutzte, um unsere Organisation zu infiltrieren. Ich habe auch keine Ahnung, wie ich einen Drogenabhängigen organisieren soll. Deshalb spreche ich jedes Jahr an 40, 50 Colleges. Ich setze auf Studenten, wir brauchen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten. Es interessiert mich nicht, ob sie später eine Million Dollar pro Jahr verdienen werden, sondern wie fortschrittlich sie sind. Ich will beispielsweise, dass sie Politiker werden. Als wir die Black Panther Party gründeten, gab es 200 gewählte schwarze Politiker in den gesamten USA. Heute sind es 12.000. Und selbst wenn die Hälfte von ihnen keine progressive Politik macht, habe ich lieber 12.000 als 200. Und wenn ein junger Politiker nach fünf Jahren korrupt wird, gibt es einen anderen, der nachrückt. Es ist wichtig, junge Studenten zu erreichen. Ich bekomme Standing Ovations, weil ich sie inspiriere. Ich will, dass sie sich als Teil der großen Menschengruppe begreifen, zu der sechs Milliarden gehören. Das Denken in rassischen Begriffen ist veraltet!

Vor kurzem kam in Cincinnati zum wiederholten Male die Wut über den Rassismus der Polizei und die Morde an schwarzen Jugendlichen zum Ausbruch – eine Realität, die damals zur Gründung der Black Panther führte.

Die Morde und das Erstellen von rassisch fundierten Täterprofilen durch die Polizei sind institutionell bedingt. Dort müssen wir ansetzen! Heute gibt es zumindest einige Mechanismen, durch die wir Veränderungen bewirken können: Polizisten können angeklagt werden, das wird sich in den polizeilichen Ausbildungsrichtlinien niederschlagen. Es geht darum, wie Bürger die Arbeit der Polizei überwachen können. Eine der ersten Gruppen, die so etwas initiiert haben, waren die Black Panthers.

Für Sie ist Arbeit in den Communities also weiterhin die wirkungsvollste Ausgangsbasis politischer Aktivität?

Auf jeden Fall. Ich denke, dass wir neben Demonstrationen wie in Seattle und Prag kreative Konzepte für die lokale Grassroots-Arbeit entwickeln müssen. Schon in den Sechzigerjahren haben wir konkrete Programme für die Leute in unseren Stadtvierteln initiiert, die sich auf ihr Leben auswirkten, die sie zum Handeln brachten und ihre Wählerstimmen bündelten. Wie können Bürger Kontrolle über die politischen, ökonomischen und sozialen Institutionen ausüben, die ihre Leben bestimmen – das ist nach wie vor die entscheidende Frage, auch in einer überentwickelten High-Tech-Welt.

Wir brauchen mehr politische Einflussnahme durch Komitees, die die Menschen mit ihren Anliegen auf der nächsthöheren Ebene vertreten. Es ist mir egal, ob es ein schwarzes oder ein weißes Komitee ist, aber es muss ein informiertes Komitee sein! Wenn man Beziehungen zu den Menschen in der eigenen Community hat, wenn man ihre Anliegen kennt, kann man sie organisieren, Mehrheiten erzielen und sich auf dieser Basis um die größeren Themen kümmern. So funktioniert Grassroots-Politik.

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