: Berlin sieht rot
„Neuwahlen jetzt!“ leitet Volksbegehren ein. SPD-Parteitag stimmt für einen rot-grünen Übergangssenat. Eberhard Diepgen und die Union warnen vor den Schrecken des Kommunismus
BERLIN taz ■ Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, droht mit dem Gespenst des Kommunismus – doch kaum einer hört hin. BerlinerInnen mussten am Wochenende teilweise Schlange stehen, um ihr Votum für Neuwahlen abgeben zu können, obwohl dann eine rot-rot-grüne Koalition aus SPD, PDS und Grünen erwartet wird. Bis gestern Mittag hatten sich 27.789 Menschen an der Initiative „Neuwahlen jetzt!“ beteiligt. 50.000 Stimmen sind zur Einleitung des Volksbegehrens notwendig. Zugleich machte gestern ein SPD-Parteitag den Weg zur Abwahl Diepgens frei.
Der noch Regierende Bürgermeister rief mit Blick auf die SPD zum „Kampf gegen die Gruppierung“ auf, „die die Kommunisten an die Macht bringen will“. Diepgen weiter: „Die Erfahrungen der Berlinerinnen und Berliner mit Kommunismus, mit Mauer und Stacheldraht und dem Staatssicherheitsdienst sind nicht vergessen.“ Die Absicht der SPD, einen Tag vor dem 17. Juni den Senat zu stürzen, nannte er „ungeheuerlich“.
Davon unbeeindruckt beschloss die Berliner SPD den Ausstieg aus dem bisherigen Bündnis mit der CDU und zugleich den Sturz Diepgens durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Es gab nur wenige Stimmenthaltungen. SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit soll am kommenden Samstag zum neuen Regierenden Bürgermeister einer rot-grünen Koalition gewählt werden, deren wichtigste Aufgabe die schnelle Einleitung von Neuwahlen wäre.
Der SPD-Parteitag bestätigte Wowereits Kandidatur einstimmig. Das Volksbegehren wäre dann überflüssig. Allerdings meldete sich mit Jürgen Radebold erstmals ein SPD-Abgeordneter, der einen Sturz Diepgens mit Hilfe der PDS ablehnte.
Wowereit schloss ein Bündnis mit der PDS nach Neuwahlen nicht aus: Wenn es mit den Grünen nicht zu einer neuen Mehrheit in der Stadt reicht, „ist auch eine Zusammenarbeit mit der PDS denkbar“, sagte er. Die PDS bezeichnete er „weder als Wunsch- noch als Traumpartner“. Um möglichen Kampagnen zuvorzukommen, bekannte sich Wowereit auf dem Parteitag offen zu seiner Homosexualität: „Ich sag euch etwas zu meiner Person: Ich bin schwul, und das ist auch gut so.“
Gestern Abend wollten auch die Grünen den Weg für den Sturz Diepgens frei machen. Sie verlangen in einem Übergangssenat bis zu Neuwahlen drei Senatorenposten.
Politiker von CDU und CSU mauerten das Wochenende hindurch an der Angst vor dem Sozialismus. „Ausgerechnet die Partei an der Macht zu beteiligen, die die Teilung zu verantworten hat, ist instinktlos und eine Verhöhnung der Maueropfer“, warnte der frühere CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble. „Das Mitregieren von Kommunisten in Berlin würde mit Sicherheit zu einer Distanz Deutschlands zu seiner Hauptstadt führen“, sekundierte CSU-Chef Edmund Stoiber. Einen „Eilmarsch in eine linke Republik“ auf Bundesebene gar befürchtete der rheinland-pfälzische CDU-Politiker Christoph Böhr. CDU-Generalseketär Laurenz Meyer erklärte, die SPD mache mit einer Koalition mit der PDS „auch rechtsradikale Parteien hoffähig“.
Uneinigkeit herrscht in der Union, wie man den drohenden „Dammbruch“ (Meyer) noch verhindern kann. Diepgen wollte bisher nicht erklären, ob er erneut zur Kandidatur als Regierender Bürgermeister bereit ist. Der ins Spiel gebrachte Wolfgang Schäuble lehnt offenbar ab, Angela Merkel wohl ebenso. Klaus Landowsky, dessen erfolgreiche Tätigkeit als Bankmanager die Krise erst ausgelöst hat, brachte umgehend den Unternehmensberater Roland Berger und den ehemaligen BDI-Chef Hans-Olaf Henkel ins Gespräch. KLH
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