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Warten auf den Prinzen

Deutschland tut sich schwer mit einem ernsthaften Magazin für Schwule und Lesben. Ein Insider berichtet

von AXEL KRÄMER

Es war die höchste Wertschätzung von offizieller Seite, die Schwulen und Lesben jemals zuteil wurde. Zum Ende seiner Amtszeit sprach Bill Clinton in einem Exklusivinterview mit dem Homomagazin Advocate über Erfolge und Aussichten für „gay and lesbian rights“, und in der Ausgabe davor hatte bereits Hillary Clinton Flagge gezeigt. Mit diesem Coup konnte Advocate seine führende Stellung unter amerikanischen Homozeitschriften behaupten.

Seit den Neunzigerjahren etablieren sich rund um den Globus immer mehr ambitionierte Nachahmer. Viele davon haben sich mit stilsicherem Qualitätsjournalismus rasch einen Ruf erworben, der weit über die Grenzen der schwul-lesbischen Community hinausreicht. Publikationen wie das hochwertige Out aus New York, das in Frankreich erscheinende Têtu oder das in Spanien gefeierte Zero glänzen freilich eher mit Kultur- und Zeitgeistthemen. Politisch sind sie weniger ambitioniert als das vor 34 Jahren von wütenden Homoaktivisten ins Leben gerufene Advocate. Doch trotz inhaltlicher Unterschiede geben auch sie sich ein glamouröses Image, nehmen ihre Leserinnen und Leser ernst und reduzieren sie beileibe nicht auf bloße Sexualität. Erst auf den zweiten Blick lässt etwa das in Großbritannien erscheinende Lifestylemagazin Attitude erkennen, dass es sich an ein schwules Publikum richtet.

Trübsal herrscht hingegen in Deutschland. Auf dem mit knapp viertausend Kauftiteln größten Zeitschriftenmarkt der Welt beschränkt sich das Hochglanzsegment für Homos auf Pin-up-Magazine wie Adam oder Männer aktuell. Sämtliche Versuche, eine ernsthafte Publikumszeitschrift zu etablieren, sind bislang gescheitert – von Magnus über Vary bis zuletzt outline.

Die Ansätze waren sehr unterschiedlich, wenn nicht gegensätzlich. So baute das auf dem Höhepunkt der Aidskrise entstandene Magnus auf Zusammenhalt und schwule Solidarität, sah sich jedoch alsbald von einer unerwarteten Entwicklung überrollt: Die Szene zerfiel rasch in kulturelle, politische und regionale Gruppierungen. Hingegen setzte outline rund zehn Jahre später auf Vielfalt, Neugier, Konflikt und Kommunikation – innerhalb der Szene, zwischen Schwulen und Lesben, aber auch über den Tellerrand der Community hinweg. Outline nahm den Begriff „Lifestyle“ wörtlich und stellte unterschiedlichste Lebensformen in mehrseitigen Fotoreportagen vor: Schwule und Lesben in Patchworkfamilien, jüdische Schwule oder Gay Skinheads. Doch es sollte sich herausstellen, dass outline das Interesse der deutschen Community an ihrer eigenen Pluralität überschätzt oder zu früh vorausgesetzt hatte.

Hartnäckig hält sich das Gerücht, Mainstreammedien in Deutschland würden Homothemen ohnehin ausreichend abdecken. Doch diese üben sich bislang nur darin, ihre überwiegend unbedarften Leser auf mäßigem Niveau aufzuklären, „wie Schwule wirklich leben“ oder „wie Lesben lieben“, so die Headlines einer nett gemeinten, aber belanglosen Stern-Serie im vergangenen Jahr. Für Überraschung hatte dort allenfalls das Glossar zum Text gesorgt, denn dass die beste Freundin eines Schwulen „Gabi“ genannt wird – das war auch vielen Schwulen neu.

Jenseits solcher Bedeutungslosigkeiten bleibt in Deutschland nur wenig mediale Substanz übrig, die konservativen Wertvorstellungen etwas Ernsthaftes entgegensetzen könnte. Dabei könnten Lesben und Schwule viele Debatten durch ihren spezifischen Erfahrungshorizont bereichern – wenn sie nur wollten.

Nimmt sich die Community in Deutschland überhaupt selbst ernst? Potenzielle Anzeigenkunden, die in vergleichbaren internationalen Publikationen ohne Bedenken inserieren, äußern immer wieder Zweifel. Verwiesen wird etwa auf das Bild der Szene, das hierzulande in einschlägigen Stadtmagazinen wie Raus in Köln oder Our Munich gezeichnet wird. Diese liegen massenhaft und kostenlos in Kneipen, Bars und Sexshops aus und finanzieren sich zu einem beträchtlichen Teil durch Neppanzeigen für Telefonsex, die „Gruppenstöhnen non stop“ verheißen oder sich in platter Ulkerei versuchen. „Entscheidend ist, was hinten reinkommt!“ lautet das Motto einer mit nackten Hintern illustrierten 0190er-Nummer, und in einer aktuellen Ausgabe des Hamburger Magazins hinnerk verspricht eine entsprechend bebilderte Reklame „Penisverlängerung ohne Geräte und ohne Operation“. Der Szenereport derselben Ausgabe präsentiert drei nackte Männer als „leckere Appetithäppchen auf der Pornostarparty“ eines großzügig im Heft inserierenden Clubs, denn der redaktionelle Teil grenzt sich stilistisch und inhaltlich von den Anzeigen nur mit Mühe ab.

Keinen Deut ernsthafter gibt sich die Berliner Siegessäule, nach eigenen Angaben „Europas größtes schwullesbisches Stadtmagazin“. „Feiern, Ficken & Frohlocken“ lautete die Überschrift in einer Dezemberausgabe, in der sich Redaktion und Verlag „einen kleinen Blas-Sklaven“ für ihren Grafiker wünschen. Die Wünsche der eigenen Zielgruppe hingegen sind dem Siegessäule-Team im sechzehnten Erscheinungsjahr nicht mal eine Leserbriefseite wert.

Das verwundert kaum, denn der Erfolg von Gratismagazinen wird zunächst nicht von ihren Lesern bestimmt, sondern von den Anzeigenkunden und Auslagestellen, die zur Ermittlung der Reichweite mittels simpler Empfangsquittungen die Auflage bestätigen. Einige Bars, Clubs und Sexshops erfüllen gleichzeitig mehrere Funktionen: Sie schalten Anzeigen, bestätigen den Empfang von Magazinen für die Auflagenprüfung und tauchen auch noch in Szeneberichten auf. Die offiziellen Reichweitezahlen haben inzwischen Schwindel erregende Höhen erreicht, und gegenüber Außenstehenden scheint es gerade so, als repräsentierten die Gratismagazine die gesamte Bandbreite der Community.

Nicht unbedingt die sexuellen Anspielungen oder gar Aufdringlichkeiten sind es, die das Unbehagen beim Durchblättern der kostenlosen Stadtmagazine auslösen. Viel mehr ist es der verbreitete süffisante Ton, der den gesamten Inhalt abwertet. Just sexuelle Themen hätten verdient, ernst genommen zu werden, zumal sie einen wesentlichen Bestandteil im schwulen und lesbischen Selbstverständnis darstellen. Obendrein dringt der übliche Stil jedoch auch in Beiträgen durch, für die eine aufrichtige Annäherung unabdingbar wäre. Die überraschenden Ambitionen der Siegessäule, sich mit einer „Aktion Zivilcourage“ an die Spitze der Antifabewegung zu setzen, mögen von selbstlosen Motiven geleitet sein. Doch bereits das Titelbild der vergangenen Oktoberausgabe rückt das edle Ansinnen unvermittelt ins Lächerliche: Dort werden die lesbischen Bandmitglieder der „Cousinen“ als Ulknudeln vorgeführt, die mit Besen, Baseballschlägern und klamaukartigen Drohgebärden zum beherzten Eingreifen „gegen Rechts“ ermuntern sollen. Das Thema ist leider hochbrisant, und so bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

Gewiss heben sich einzelne Beiträge in den Stadtmagazinen angenehm von ihrem Umfeld ab, doch wo Süffisanz und Mittelmaß dominieren, können Ausnahmen kaum wahrgenommen werden. Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist die schwul-lesbische Monatszeitung Queer, die jüngst mit der Gründung einer Aktiengesellschaft Schlagzeilen machte und sich mit betont seriösem Journalismus einen Namen machen will.

Dabei hat Queer allerdings gegen unverhältnismäßig starkes Misstrauen und viele Neider in der Szene anzukämpfen, und eine stabile Zukunft sehen die Blattmacher nur im Engagement weiterer Geldgeber. Überhaupt träumen alle vom gönnerhaften Medienmogul, der wie ein Märchenprinz aus dem Nichts erscheinen und die dahinsiechende Szene von ihrem Darben erlösen soll. Doch bis sich ein „Großverlag“ gegenüber Schwulen und Lesben „erbarmt“, so die Siegessäule in devotem Tonfall, bleibe „Deutschland wohl weiter Entwicklungsland“. Ähnlich lautet das Fazit in hinnerk, das dem Thema „Schwule Zeitschriften am Kiosk“ im Januar seine Titelgeschichte widmete. In dem Beitrag wird der Eindruck erweckt, als sei das Problem in Deutschland ein rein finanzielles, dem nur ein Großverlag wie „Burda, Gruner + Jahr oder Springer“ beikommen könnte.

Die Mühe eines internationalen Vergleichs macht sich hinnerk indes nicht. Bislang existiert nämlich weltweit noch kein Homomagazin, das von einem derartigen Medienkonzern gegründet oder übernommen worden wäre. Dieser wichtigen Herausforderung müssen sich Schwule und Lesben auch in Deutschland wohl selbst stellen – vorausgesetzt, sie können sich dafür ernst genug nehmen.

AXEL KRÄMER, 34, war ein Jahr lang Herausgeber des Homomagazins „Outline“. Er lebt als freier Journalist in Berlin

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