Stasi schlampte: Pech für IM „Dorn“

Henning Nase hat gestanden: Der Exmitarbeiter des damaligen SPD-Abgeordneten Rudolf Dreßler lieferte der Stasi Interna aus der westlichen Rüstungspolitik. Heute urteilt das OLG Düsseldorf, ob Nase wegen Landesverrats ins Gefängnis muss

aus Düsseldorf ELMAR KOK

Seit über einem Jahr sitzt Henning Nase in Düsseldorf in Untersuchungshaft. Wenn es nach den Staatsanwälten geht, kommen heute noch einmal ein Jahr und sechs Monate Strafvollzug für ihn dazu. Die Bundesanwaltschaft wirft dem ehemaligen Sozialdemokraten Nase Landesverrat vor. Der ehemalige persönliche Referent von Rudolf Dreßler (SPD) soll in den Jahren von 1978 bis 1990 die „Hauptverwaltung A“ (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR unter dem Namen IM „Dorn“ mit brisanten Informationen beliefert haben.

Laut Anklage hat Nase an die Auslandsspionage der DDR ein Protokoll über eine Kabinettssitzung und vier Niederschriften über Sitzungen des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages geliefert. Er stand 1996 in Düsseldorf wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit“ vor Gericht; das Verfahren wurde jedoch gegen Zahlung von 200.000 Mark eingestellt, da Nase ein Geständnis abgelegt hatte.

In dem neuen Prozess geht es um den Verrat von konkreten Staatsgeheimnissen. Darauf sind die Ermittler erst 1999 gestoßen, weil ein ehemaliger Telefontechniker der DDR in der Gauck-Behörde 4 Magnetbänder der Datenbank „System, Information, Recherche der Aufklärung“ (SIRA) dekodierte.

Eigentlich hätte es die Bänder gar nicht mehr geben dürfen: Die HVA hatte dem Runden Tisch in den Wendetagen die Zusage abgetrotzt, sich selbst auflösen zu dürfen. Bei der Vernichtung der Daten vergaß die HVA, die Sicherungskopie, deren sich jetzt die Bundesanwaltschaft bedient, zu löschen. Auf dem SIRA-Magnetband soll stichwortartig festgehalten worden sein, welche Geheimnisse „IM Dorn“ an die DDR verraten hat. Nase soll der Stasi unter anderem Auskünfte über die „integrierte Luftverteidigung Europa Mitte“, die „Kampfwertsteigerung“ vom Jäger „Phantom“ und Panzer „Leopard I“ gegeben haben. Zudem hat er laut Bundesanwaltschaft die DDR über die Stationierung von „Patriot“-Raketen informiert und Schaubilder über die bodengestützte Waffensysteme der BRD an die Stasi weitergegeben. Auch die Selbsteinschätzung der Nato, man habe Defizite in der Abwehr von Chemiewaffen, soll IM „Dorn“ an die DDR verraten haben.

Nase hat mittlerweile ein Geständnis abgelegt, dafür rückt die Staatsanwaltschaft vom Vorwurf des „Landesverrats im besonders schweren Fall“ ab und fordert nur noch zweieinhalb Jahre Haft. Mit der Urteilsverkündung endet heute in einem abhörsicheren, fensterlosen Gerichtskeller in Düsseldorf ein Prozess, der nach Meinung der Verteidiger viel zu lange gedauert hat. „Für uns war der Fall entschieden, als klar war, Nase ist Dorn“, sagt Michael Rosenthal, einer von Nases drei Verteidigern, „seitdem standen wir nur noch in der Ecke.“ Rosenthal kritisiert die Fortdauer der Untersuchungshaft als „Geständniserzwingungshaft“ und fordert Freispruch. Die Verfahrenskosten solle die Staatskasse übernehmen, schließlich sei schon das Einfliegen von Zeuge Rudolf Dreßler aus Tel Aviv sehr teuer gewesen.

Auch seine beiden Kollegen bemühen sich, zum Ende des Prozesses die Bundesanwaltschaft noch ein bisschen zu piesacken. Verteidiger Christian Reetz, der das Verfahren für einen Pilotprozess für die weitere rechtliche Verwendung der SIRA-Bänder hält, zweifelt die Zulässigkeit der Daten als Beweismittel an. Da der Runde Tisch die Vernichtung der Daten beschlossen habe, könne die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger der DDR das nicht ignorieren. „Stellen Sie sich vor, es stellt sich heraus, dass wir die Daten gar nicht hätten verwenden dürfen. Was machen wir denn dann mit dem Geständnis?“, fragt er die Richter.