Köpfchen unter Wasser

Der bodenständige Cédric verdreht dem schüchternen Mathieu gehörig den Kopf: Sébastien Lifshitzs „Sommer wie Winter“ ist ein ganz normaler schwuler Liebesfilm

Es fängt an wie in einem Sommerfilm von Eric Rohmer: Junge Leute baden und sonnen sich an einem französischen Strand, sie lachen, flirten und sind doch vor allem eins – schüchtern. Der 18-jährige Mathieu (Jérémie Elkaïm) ist mit seiner Familie angereist. Die Mutter ist depressiv, der Vater wie immer abwesend, die Schwester nervt. Öde Ferien.

Bis der schüchterne Pariser den bodenständigen Cédric (Stéphane Rideau) kennen lernt. Der verdreht ihm gehörig den Kopf. Nach anfänglichem Zögern verknallen sich die Jungs ineinander, lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Das aber fällt Mathieu, bislang allen Emotionen verschlossen, schwer. In einer exemplarischen Sequenz findet er einen toten Vogel, doch der löst keine Gefühlsregung aus. Sowie Mathieu seine Homosexualität entdeckt, öffnen sich ihm dank seines Geliebten neue Gefühlswelten.

Eine Sommerromanze voller Sinnlichkeit nimmt ihren Lauf. Die beiden tollen nackt im Meer herum, treiben es wild in den Dünen. „Sommer wie Winter“ ist ein ganz normaler Liebesfilm. „Zwei Menschen in der Totale, die sich lieben, das ist sehr schön, egal ob es ein Mann und eine Frau sind oder zwei Männer“, so der Regisseur Sébastien Lifshitz, „da sind einfach zwei Menschen, die sich begehren und ihre Lust frei ausleben.“

Was anfangs nach einem Urlaubsflirt aussieht, verwandelt sich in Liebe. Die Beziehung gewinnt an Tiefe und verliert an Unbeschwertheit. Die Realität holt das Liebespaar ein. Cédric geht fremd. Die Liebe erhält erste Risse. Da nützt auch nicht, dass Mathieu seine Familie verlässt, um mit seinem Geliebten zusammenzuziehen. Einen Winter später sind von der großen Liebe nur noch Bruchstücke übrig. Mathieu wird depressiv, trennt sich von Cédric und unternimmt einen Selbstmordversuch. Verlust und neue Einsamkeit waren wohl zu viel.

Das wird aber nicht ganz klar, weil der Regisseur auf eine konventionelle Erzählweise verzichtet. „Sommer wie Winter“ wechselt ständig die Zeitebenen. Eben noch ist Sommer, dann ist es plötzlich Herbst oder Winter und umgekehrt.

Doch der Zuschauer ergänzt, was Sébastien Lifshitz nicht erzählt. Nicht die Entwicklung der Geschichte ist das Wesentliche des Films, sondern Hauptfigur Mathieu, der den Rhythmus der Erzählung vorgibt. Dass die traurig endet, ist schon zu Beginn absehbar. Was bleibt, sind die wunderbaren Bilder einer jungen Liebe. Und die nicht neue, aber oft verdrängte Erkenntnis, dass das höchste Glück sein wahres Wesen meist nur in kurzen Momenten offenbart und – leider – nicht festzuhalten ist.

ANDREAS HERGETH

„Sommer wie Winter“, Regie: Sébastien Lifshitz. Mit Stéphane Rideau,Jérémie Elkaïm u. a., F 2000, 100 Min.(siehe cinema-taz)