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Schwullesbisches Fest mit Politprominenz

Über eine halbe Million Menschen feierten am Samstag den Christopher Street Day in Berlin. Erstmals mit dabei: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und der neue, offen schwule Regierende Bürgermeister der Stadt, Klaus Wowereit. Das Stadtoberhaupt wurde wie ein Popstar empfangen

von KATRIN CHOLOTTA

Es ist das Weihnachten der Lesben und Schwulen. Man wirft sich in Schale, wobei Lederkostüm, Federboa und Uniform den gestärkten Anzug ersetzen. Gönnt sich ein paar Spritzer mehr vom teuren Parfüm und hat den Sekt schon eine Woche vorher auf Eis gelegt. Nur wird der schwullesbische Feiertag nicht daheim im engen Familienkreis begangen.

So nahmen auch in diesem Jahr wieder über 500.000 Menschen jeglicher Couleur am 23. Berliner Christopher Street Day (CSD) teil. Unter dem Motto „Berlin stellt sich que(e)r gegen rechts“ bildeten etwa 80 Vereine und Unternehmen den bunten Demozug, der sich am Samstag lautstark vom Kurfürstendamm bis zur Siegessäule durch Berlins Innenstadt schlängelte.

Dabei hatte der CSD eine noch nie da gewesene Politprominenz. Neben dem Grußwort des Bundeskanzlers richtete nicht nur der frisch geoutete und gewählte Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sein Wort an die bunte Community, auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) scheute nicht vor einer Rede auf der Abschlusskundgebung der schwullesbischen Demonstration zurück. Klaus Böger (SPD), Wowereits Stellvertreter und Senator für Schule, Jugend und Sport, eröffnete den CSD mit dem traditionellen Scherenschnitt durch das regenbogenfarbene Band. „Schwule und Lesben gehören zu einem toleranten Berlin“, sagte Böger zuvor der taz, „dabei ist der CSD aber auch zu einem touristischen Event geworden.“ Etwas steif wirkte Böger dennoch, als er immerhin fünf Meter mit bunten Luftballons in der Hand vor dem Demozug herschritt.

Umso ausgelassener war die Stimmung der TeilnehmerInnen. Sekt spritzte, Rosenblätter wirbelten durch die Luft, Lautsprecher erreichten die Grenzen ihrer Kapazität. Dem aufkommenden Regen zum Trotz rissen die einen sich gegenseitig ihre Kleider vom Leib, während andere hektisch die verlaufende Schminke neu auflegten. Körper vibrierten im Takt der Discomusik, die dann und wann von euphorischen Jubelrufen der bunten Massen übertönt wurde. AnwohnerInnen krochen aus den Hauseingängen oder drängelten sich auf den Balkonen. „Das ist ja besser als Karneval“, rief ein schnauzbärtiger Mann mit rheinischem Akzent begeistert. „Schön bunt, tolle Kostüme“, pflichtete seine Frau ihm bei.

Doch genau das sei auch der Schwachpunkt des Berliner CSD, meinte Michael Schmidt, Geschäftsführer des CSD e. V., der die schwullesbische Demonstration jedes Jahr organisiert. „Es soll keine staubtrockene Demo sein“, sagte Schmidt, „allerdings geht dabei die Transparenz des Mottos ein wenig unter.“ Letztlich jedoch sei es Sache der teilnehmenden Organisationen, das politische Motto umzusetzen. „Meine Vision ist es, einen CSD zu schaffen, der möglichst vielen das Gefühl gibt, sich zu Hause zu fühlen.“ Politik und Spaß in einer Demonstration zu verbinden, sei die beste Möglichkeit.

Das Motto „Que(e)r gegen rechts“ prangte dann doch auf vielen Demowagen. „Lesbische Vielfalt rund um die Uhr statt dummer deutscher Leitkultur“ war etwa auf dem geschmückten Transporter von RuT, einer Initiative lesbischer Frauen, zu lesen. Unter dem Slogan „Brauner Dreck muss weg“ fegten Schwule im Hausfrauendress symbolisch die Straße. „Rosa Tüll statt Kampfanzug“ tänzelte hinter dem Diskowagen „Lesben machen mobil gegen rechts“. Neben Transparenten wurde der antirassistischen Haltung auch mit Farbe auf nackter Haut Geltung verschafft: Rosa Winkel zersprengten schwarze Hakenkreuze, rote Lettern auf blasser Haut forderten „Nazis raus“.

Mit Konflikten durch rechtsgerichtete Jugendliche hatte eigentlich auch der Verein Andersartig gerechnet, der eine Woche lang vor dem CSD mit einem Infomobil durch das Berliner Umland tourte. „In Brandenburg ist es nicht normal, offen schwul oder lesbisch zu leben“, sagte Tourbegleiterin Sandra Zeiske. Neben der drohenden Gefahr von rechts gebe es auch kaum Orte, an denen sich Homosexuelle gezielt treffen könnten. „Die Flyer mit Kontaktadressen waren die begehrtesten“, so Zeiske, „doch das Angebot ist im Vergleich zu Berlin mickrig.“

Alles andere als mickrig war der schillernde Umzug am Samstag. Aufwendige Kleider, regenbogenfarbener Plüsch, falsche Wimpern, Lackdress und Engelsflügel wechselten sich ab. Cheerleader, Trommelgruppen und Tangoprofis gaben den Takt an. Auch die Homo-Ehe wurde erneut durch Männer in Brautkleidern thematisiert. „Wie der Alte Fritz schon sagte: jeder nach seiner Facon“, kommentierte dazu eine ältere Dame am Straßenrand. Mit einem Blick zu ihrem Gatten sagte sie: „Vielleicht führen Homosexuelle auch eine bessere Ehe, mit mehr Achtung und Treue.“ Doch nicht alle ZuschauerInnen standen dem schwullesbischen Umzug so wohlwollend gegenüber. „Wir Heteros haben doch auch keine Parade“, empörte sich eine Studentin, „warum können sich Schwule nicht einfach integrieren?“

Die Antwort gab Bundestagspräsident Wolfgang Thierse mehrfach in seiner Rede auf der Abschlusskundgebung an der Siegessäule: „In ländlichen Regionen werden Homosexuelle immer noch angepöbelt“, sagte Thierse, „es ist höchste Zeit, die Vorurteile zu überwinden.“ Die Gefahr des Rechtsextremismus sei angesichts der steigenden politisch motivierten Straftaten noch lange nicht gebannt. Gleichzeitig forderte er die TeilnehmerInnen auf, das Motto ernst zu nehmen, denn „wo, wenn nicht in dieser Stadt, könnte Pluralität so selbstverständlich sein?“. Doch Thierses Worte schienen ein wenig zu verblassen, als Klaus Wowereit (SPD) die Bühne betrat. Das neue Stadtoberhaupt wurde mit Trillerpfeifen und viel Applaus wie ein Popstar empfangen – auch wenn er in seinem grauen Anzug kaum in die bunte Partygesellschaft passte. Der Ausspruch „Ich bin schwul – und das ist gut so“, mit dem sich Wowereit jüngst offen zu seiner Homosexualität bekannt hatte, war auf zahlreichen T-Shirts zu lesen. Ebenso die Alternativ-Variante: „Ich bin lesbisch – und das ist noch besser.“ In seiner kurzen Ansprache gab sich Wowereit ganz als Regierender Bürgermeister: „Über dieses Fest darf man den politischen Hintergrund der Themen nicht vergessen.“ Er versprach, eine Politik gegen Intoleranz jeglicher Art zu betreiben. Ein erster Schritt sei, dass erstmals zum Christopher Street Day die Regenbogenflagge vor dem Roten Rathaus gehisst wurde. „Toleranz ist erst dann erreicht, wenn das kein politischer Akt mehr ist“, rief Wowereit, „sondern eine Selbstverständlichkeit.“

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