: Vom Spiel mit Gefühlen
Klaus Wowereits Outing und seine Folgen: Warum sich die mediale Öffentlichkeit über etwas beklagt, was sie bei heterosexuellen Politikern gerne durchgehen lässt – eine gewisse Neigung zur Präsentation des Privaten. Tatsächlich fürchtet man offenkundig nichts mehr als einen First Gentleman, einen, der in die Fußstapfen Rut Brandts und Monika Diepgens tritt
von AXEL KRÄMER
Einen Moment lang herrschte absolute Stille – obwohl die Ränge im Preußischen Landtag bis auf den letzten Platz gefüllt waren. Ein Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses hatte soeben etwas sehr Persönliches offenbart.
Politisch wollte der Unionsabgeordnete Andreas Apelt in seiner Rede vor einer Regierungsbeteiligung der PDS warnen. Zu diesem Zweck berichtete er, wie er im Oktober 1989 von „Stasischlägern“ krankenhausreif verprügelt worden sei. „Aber ich habe mich nicht in die Klinik gewagt“, fügte Apelt mit ungewöhnlich emotionalem Gestus hinzu, „um meine Lebensgefährtin zu schonen, die zwei Tage zuvor entbunden hatte.“ Dieses Zitat fand sich anderntags in vielen Medien wieder. Dass Apelt so unverhohlen seine persönliche Betroffenheit instrumentalisiert hatte, war jedoch kein Thema. Dabei galt der bewusste Einsatz von Empfindungen in der öffentlichen Streitkultur bislang als anstößig, zumindest aber als heikel.
Aus gutem Grund. Denn gegen Hannah Arendts Warnung, Gefühle wie Schmerzen und Liebe betäubten nur allzu leicht den Realitätssinn, konnte bis heute noch kein Einwand ins Feld geführt werden. Trotzdem steht der Betroffenheitskult in neuer Blüte – und scheint nun auch in die Politik vorgedrungen zu sein.
Im bevorstehenden Berliner Wahlkampf klingt also ein neuer Unterton in der parlamentarischen Diskussion an, aber in den Meinungsseiten der Tagespresse findet dies keine Resonanz. Nur eine Woche vor Apelts gefühlvollem Appell hatte Klaus Wowereit auf dem Berliner Parteitag der SPD seinen inzwischen berühmt gewordenen Satz verkündet: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so.“
Knapp war diese Information in eigener Sache formuliert, frei von jeglicher Betroffenheitsattitüde. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wies der Politiker darauf hin, kein Schwulenpolitiker, sondern einfach ein schwuler Politiker zu sein.
Die anwesenden Journalisten nahmen des sozialdemokratischen Hoffnungsträgers Worte, wie sie es verdienten: als Sensation. So präsentierten sie das „Bekenntnis“ als Paukenschlag – nichts da von Gelassenheit oder Selbstverständlichkeit in der allgemeinen Berichterstattung. Zwar wagte niemand, dem SPD-Spitzenkandidaten sein Schwulsein anzukreiden. Stattdessen landete ein scheinbar ganz anderer Vorwurf auf dem Tisch: Wowereit habe, so die Süddeutsche Zeitung, unnötigerweise „sein Inneres nach Außen gekehrt“. Durch die Offenlegung seines Intimlebens nehme er billigend in Kauf, dass sich die Grenze zwischen Privatsphäre und Politik noch ein Stück weiter verschiebt – so der Tenor in Kommentaren von Tagesspiegel über die Junge Welt bis zur Stuttgarter Zeitung.
In der Welt nahm Laurenz Meyer die Gelegenheit zu einem Alarmruf wahr. Seit Wowereits Satz sieht er die Intimsphäre an sich bedroht, falls sich etwa noch mehr Politiker als schwul oder lesbisch outen: „Sexuelle Vorlieben von Politikern“, so der CDU-Generalsekretär, „gehören nicht in die Öffentlichkeit.“ Immerhin brachte Meyer durch den schlüpfrigen Unterton seiner Aussage das entscheidende Missverständnis, das sich da aufgebaut hatte, auf den Punkt. Denn Homo- und Heterosexualität stellen keine Merkmale dar, die sich als sexuelle Entblößungen oder Spielarten missdeuten lassen.
Der heterosexuelle Ehebund von Spitzenpolitikern ist seit jeher fest im öffentlichen Leben verankert, und zwar ganz formal, von jeglichem Verdacht des Exhibitionistischen befreit und ohne private Gefühlsduselei. So gilt die Rolle einer „First Lady“ als selbstverständliche Verpflichtung, die von der öffentlichen Bühne nicht wegzudenken ist. Marianne von Weizsäcker, Christiane Herzog und Christina Rau, sie alle haben eine ganze Reihe verantwortungsvoller Aufgaben übernommen, Preisverleihungen etwa oder Scheckübergaben und Schirmherrschaften karitativer Art.
Auch Hannelore Kohl und Monika Diepgen – um den Schutz ihres Privatlebens immer besonders bemüht – kamen nicht umhin, sich regelmäßig in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dabei reichte es längst nicht, Spenden für soziale Einrichtungen zu sammeln oder Brücken und Staatsgebäude einzuweihen. Von den Gemahlinnen wird auch erwartet, dass sie Kulturevents und Staatsbesuchen beiwohnen, kurzum: dem Politischen einen Hauch von Glamour und Privatheit verleihen.
Höchst lebendig sind immer noch die Erinnerungen an Rut Brandt, Gattin des späteren Bundeskanzlers, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Westberlin repräsentierte – und zwar mit einem „unvergleichlichen Charme und einer Herzlichkeit, die sie über alle Parteigrenzen hinweg beliebt machte“. In solch hohen Tönen schwärmt die Hauptstadtgazette B.Z. noch heute von ihr. Ob die Springerblätter auch nur annähernd mit einer solchen Verve über einen First Gentleman, den Mann an der Seite eines Regierenden Bürgermeisters schreiben würde? Die Chancen dafür stehen nicht gut.
Bild-Chefkolumnist Franz Josef Wagner ist einstweilen darum bemüht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. In einem scheinheiligen Kommentar wiegelt er die von Wowereit befürchtete „Schlammschlacht“ der Boulevardblätter gegen einen „Homobürgermeister“ ab und bemüht stattdessen die Allerweltsweisheit, jeder solle doch nach seiner eigenen Fasson glücklich werden. So verwies er einmal mehr auf die vermeintliche Privatangelegenheit von Homosexualität. Allein: Für den besonderen Schutz der Intimsphäre hat sich gerade sein Blatt noch nie engagiert.
Auch ein Kommentar in der B.Z. deutet darauf hin, dass sich das Verlagshaus Springer mit einem schwulen Nachfolger von Monika Diepgen noch schwerer tun würde als mit einem Homobürgermeister. Das „Thema schwuler Klaus Wowereit“, so Chefredakteur Georg Gafron, habe sich in seiner Zeitung erledigt. Selbst die Süddeutsche Zeitung versprach, ihre Leserschaft künftig vor dem Privatleben des neuen Berliner Regierungschefs in Schutz zu nehmen – und nicht etwa umgekehrt.
Alles in allem zeichnet sich in vielen Medien für die Zukunft eine Sonderbehandlung für homosexuelle Amtsträger ab. Selbst den liberalen Medien scheinen Schwule und Lesben nur dann als Thema interessant zu sein, wenn sie als schräge Vögel, tragische Figuren oder schillernde Künstler und Exoten vorgeführt werden können – in verantwortungsvollen Positionen hingegen wecken sie Misstrauen.
Geradezu überdeutlich erweist sich Wowereits Schwulsein im Nachhall des Outings als handfestes Politikum – und keinesfalls als Privatsache. Somit scheint die entscheidende Frage: Wie wird der erste offen schwule Bürgermeister Deutschlands (und Chef eines Bundeslandes) jenen Gebräuchen gegenüber stehen, die seit jeher ausschließlich und ausnahmslos von den Ehefrauen heterosexueller Amtsträger ausgeübt wurden?
Wowereit, der nach eigenen Angaben sein Outing nicht geplant, sondern „relativ spontan entschieden“ hatte, hält sich bislang betont zurück. In all den eilig anberaumten TV-Interviews bei „Beckmann“, „Friedman“ und „Maischberger“ verlor er kein Wort über seinen Lebensgefährten. Angesichts der allgemeinen Aufgeregtheit mag verständlich sein, dass der Politiker einstweilen eine strikte Grenze zu seinem Privatleben ziehen möchte.
Denn dessen politische Dimension scheint ihm in all seiner Tragweite erst allmählich zu dämmern. Schon jetzt schlägt der Medienrummel globale Wellen. In Kommentaren türkischer Tageszeitungen wurden Vergleiche mit dem nahezu zeitgleichen Outing des Popstars Tarkan gezogen, der sich nun auf Grund seiner mutmaßlichen Homosexualität im Land einhelliger Schmäh ausgesetzt sieht. Welch politische Signalwirkung ergäbe sich erst, wenn Bürgermeister, etwa aus Istanbul oder Ankara, im Rahmen von Staatsempfängen ganz offiziell dem schwulen Lebensgefährten eines Regierungschefs vorgestellt würden?
Zudem sollte sich Wowereit über eines klar werden: Seit einiger Zeit verändern sich just in Deutschland die Spielregeln um das Privatleben in der Politik. Die geringer werdenden Unterschiede in den Parteiprogrammen haben dazu geführt, dass die Persönlichkeit eines Politikers inzwischen mehr zählt als jemals zuvor. Zur Rezension zieht der Wähler nicht mehr die Programmatik eines Kandidaten, einer Kandidatin heran, sondern dessen oder deren persönliche Integrität und Charisma. Antihelden wie der biedere Helmut Kohl oder der als „blasser Eberhard“ verspottete ehemalige Bürgermeister Diepgen hingegen scheinen einer vergangenen Epoche anzugehören.
Die Berliner CDU – die sich nur mühselig vom Schock erholt, dass Wowereits Outing keine Empörung hervorgerufen hat – erkannte die Zeichen der Zeit rasch. Oder ist es nur Zufall, dass sich Wowereits Rivale Frank Steffel von seiner PR-Agentur zum „Kennedy an der Spree“ stilisieren lässt? Aber ist eine Politikerfigur wie John F. Kennedy ohne Sexappeal überhaupt vorstellbar? Und ohne eine schöne und strahlende Jackie an seiner Seite? Ist es zu verwegen, sich jetzt schon einen schwulen Mann in dieser Rolle vorzustellen?
AXEL KRÄMER, 34, ist freier Autor in Berlin
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