: Mit Lizenz zum Stehlen
aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH
Türmchen, Kuppeln und gläserne Pyramiden zieren das Dach des Gasprom-Firmensitzes im Süden Moskaus. Spielerische Details, die dem strengen Charakter des schlanken Büroturmes indes nichts anhaben können. Vom Boden bis in die Höhe spannen sich Glasfronten, die aus der Ferne Transparenz suggerieren. Der Eindruck trügt. Nur wer hinausschaut, hat freie Sicht.
Das Areal ist streng bewacht. Dutzende Kameras verfolgen den Neugierigen. Wer es einmal hinter den mächtigen eisernen Zaun geschafft hat, der hat fürs Leben ausgesorgt. Der russische Gasmonopolist „Gasprom“ hat viele Facetten. Er steht für hemmungslose Bereicherung seiner Managerschicht genauso wie für unternehmerische Fürsorge und korporativen Geist, der in Russland seinesgleichen sucht. Gasprom zahlt stattliche Gehälter und versorgt die Mitarbeiter in eigenen Kliniken, von der Geburt bis zum Alkoholentzug. Selbst im hohen Norden am Polarkreis bleibt das Unternehmen dieser Maxime treu.
In solche Strukturen einzubrechen ist schwierig. Von 1992 bis Ende Mai dieses Jahres leitete Rem Wjiachirew die Geschäfte des Gaskonzerns. „Rembo“ nannten die Angestellten den Gaskönig liebevoll in einer Mischung aus Zuneigung und Ehrfurcht. Der Sohn eines Schmieds und einer Lehrerin aus Sibirien war sich für nichts zu schade. Brauchte der Sprössling eines Untergebenen einen Studienplatz, schaltete sich der Chef auch mal persönlich ein. Wjiachirew verkörperte den guten Zaren, der zwar gehörig absahnt, aber nicht alles in der eigenen Tasche verschwinden lässt. Die von einer notorisch korrupten Politikerkaste gebeutelten Russen schätzen diesen Typus. Doch der Kreml sah es anders.
Im Mai sorgte Präsident Wladimir Putin dafür, dass der Arbeitsvertrag des begeisterten Hühnerzüchters Wjiachirew nicht verlängert wurde. Der Kremlchef entmachtete den Direktor des reichsten russischen Unternehmens auf eine sanfte Art. Er verlieh ihm einen Orden und stellte sicher, dass er bei den gestrigen Aufsichtsratswahlen zum Vorsitzenden gewählt wurde. „Opa Rem“ hat laut der amerikanischen Zeitschrift Forbes inzwischen ein Privatvermögen von 1,1 Milliarden Dollar angehäuft.
Gasprom ging aus der Privatisierung des ehemaligen sowjetischen Erdgasministeriums 1994 hervor. Seither ist der russische Staat mit 38 Prozent Mehrheitsaktionär, 50 Prozent der Aktien verteilen sich auf Kleinanleger, rund 12 Prozent befinden sich in ausländischem Besitz. Darunter auch die deutsche Ruhrgas AG, die nach der gestrigen Hauptversammlung gute Chancen hat, ihren bisherigen 5-Prozent-Anteil auf 8 Prozent aufzustocken.
Im Selbstverständnis der Führungsschicht des Konzerns ist Gasprom längst die Visitenkarte Russlands. Das Imperium erwirtschaftet nicht nur 8 Prozent des russischen Bruttoinlandsproduktes (BIP), es bestreitet auch zu einem Viertel den Haushalt des Landes. Die Vorjahresbilanz weist aus, dass der Konzern in 2000 72 Prozent mehr Steuern an den Staat abgeführt hat als im vorangegangenen Jahr. Mit 308.000 Mitarbeitern ist Gasprom nach wie vor der größte Arbeitgeber des Landes. Seit längerem war der Erdgaskonzern, der sich unter Boris Jelzin zu einem Staat im Staate enwickelt hatte, wegen undurchsichtiger Finanztransaktionen ins Gerede gekommen. Kremlchef Putin setzte im Mai einen engen Gefolgsmann, den ehemaligen stellvertretenden Energieminister, Alexej Miller, als neuen Chef ein. Offiziell heißt es, der 39-Jährige soll Transparenz in das Unternehmen bringen, den Augiasstall ausmisten. Beobachter werten Putins Entscheidung als einen Schritt, „der für ganz Russland eine Signalwirkung haben könnte“. Der liberale Politiker Boris Nemzow hielt die Entlassung Wjiachirews gar für „wichtiger als einen Regierungswechsel“.
Sollte der Kremlchef es tatsächlich ernst meinen, Korruption und Selbstbedienung endgültig einen Riegel vorschieben? Die Absicht garantiert noch keinen Erfolg, massive Widerstände müssen überwunden werden. Und ob sich die unter der Ägide Wjiachirews stattgefundenen räuberischen Privatisierungen aus dem Konzernvermögen rückgängig machen lassen, ohne den Eindruck zu erwecken, der Kreml widerrufe Eigentumsrechte und nehme dafür eine Kollision mit geltendem Recht in Kauf, bleibt fraglich. Zumindest ist es eine delikate Angelegenheit.
Die Privatisierung des Erdgasproduzenten ist gleichzeitig das Lehrstück eines der frechsten Raubzüge in der jüngeren Weltgeschichte. Der ehemalige liberale Finanzminister Boris Fjodorow vermutet, rund drei Milliarden Dollar würden jährlich veruntreut. Die Managerriege, so der Finanzexperte, hätte eine „Lizenz zum Stehlen“. Fjodorow sitzt als Vertreter ausländischer Aktionäre im elfköpfigen Gasprom-Vorstand. Als er vor kurzem eine zweite Firma mit der Rechnungsprüfung beauftragen wollte, versuchte das Topmanagement, ihn aus dem Vorstand zu drängen. Auch der russische Rechnungshof übte scharfe Kritik im Jahresbericht 2000. Trotz der rückläufigen Gasförderung – 1992 noch 569 Mrd. Kubikmeter (kbm), 2000 523 Mrd. kbm – habe der Konzern nur zwei Drittel der eingeplanten Mittel in die Erforschung neuer Förderquellen gesteckt. Stattdessen aber rund 800 Millionen Dollar für Aufgaben ausgegeben, die weder der Produktion noch der baufälligen Infrastruktur zugute kommen.
Langsam werden die dunklen Machenschaften der Bosse erkennbar. Das Topmanagement hat Gasprom buchstäblich wie einen Familienbetrieb geführt und durch Firmengründungen die lukrativsten Teile in Familienbesitz gebracht. Während Gasproms Gewinne sinken, wachsen die Einnahmen der jungen Vertragspartner. Zum Beispiel die der Firma Itera des ehemaligen sowjetischen Radprofis Igor Makarow. Das Unternehmen ist in Jacksonville (Florida) registriert und hat es in kurzer Zeit geschafft, in den ansonsten geschlossenen russischen Gasmarkt einzudringen. Inzwischen ist die Firma der zweitgrößte Gaslieferant der GUS-Staaten. Seit 1998 stieg die Produktion um Schwindel erregende 1.100 Prozent. Dank dem großen Erfolg plant das Unternehmen, noch in diesem Jahr an die New Yorker Börse zu gehen. Dann, so meinen Insider bissig, würde das Rätsel gelüftet, wie viele Vermögenswerte bei Gasprom abgezweigt worden seien. Die Transaktionen zwischen Gasprom und Tochterfirmen folgen dem gleichen Muster, das schon sowjetische Fabrikdirektoren nutzten, um ihren Schnitt zu machen. Die Produzenten liefern Güter zu Niedrigpreisen an Handelsunternehmen, die die Waren zu Weltmarktpreisen weiterverkaufen. Die Handelshäuser gehören Freunden oder Verwandten. So liefert Gasprom Itera Erdgas zu Preisen unter Selbstkosten und stellt auch noch das Pipelinesystem zur Verfügung. Der russische Rechnungshof fand heraus, dass Gasprom der russischen Tochter Itera-Rus 1.000 kbm Gas für 1,80 Dollar liefert (Selbstkosten 2,60). Von Itera International kassiert die russische Tochter unterdessen an die 60 Dollar.
Zu den Profiteuren gehört auch der ehemalige Ministerpräsident Wiktor Tschernomyrdin, dessen Vermögen der US-Geheimdienst CIA bereits 1997 auf 5 Milliarden Dollar ansetzte. Schon zu Sowjetzeiten saß er als Chef des Erdgasministeriums direkt an der Quelle. Sohn Andrej sitzt inzwischen auf der Führungsetage der ehemaligen Gasprom-Tochter Strojtransgas, die im Auftrage des Gasgiganten Pipelines baut. Bisheriges Auftragsvolumen: 1,2 Milliarden Dollar. Gasprom verfügt nur noch über 3 Promille des Unternehmens, während die Brüder Andrej und Witali Tschernomyrdin einen Anteil von 5,9 Prozent besitzen. Witalijs Name taucht auch in einem anderen dubiosen Geschäft auf. So hat der Tschernomyrdin-Spross zusammen mit Wjiachirews Tochter Tatjana Dedikowa und anderen Vorstandskindern eine Gasprom-Firma für 450 Dollar erworben, die den Konzern mit Industrieausrüstungen beliefert. Damit nicht genug. Vor kurzem wurde ruchbar, dass die Kinder für ein Handgeld von zwei Dollar auch einen erheblichen Teil des milliardenschweren Gasexports nach Ungarn kontrollieren. Einnahmen, die nicht nur der Staatskasse und dem russischen Steuerzahler verloren gehen, auch die Kleinaktionäre haben seit Jahr und Tag keine Dividenden mehr gesehen.
Ob der Jahrhundertklau noch strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht? Wenig spricht zur Zeit dafür. Rem Wjiachirew hat bereits Abbitte geleistet. Im Auftrag Präsident Putins erledigte der Gasmann im April den kremlkritischen Fernsehsender NTW. Als Aufsichtsratsvorsitzender dürfte er eher Interesse an Vertuschung denn Aufklärung haben. Wiktor Tschernomyrdin schickte der Kreml unterdessen als Botschafter in die Ukraine. Auch er genießt Immunität.
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