: Deutschland hinkt hinterher
In Schweden sind längst 80 Prozent der Frauen berufstätig. Denn Kinder und Alte können außerhalb der Familie betreut werden, Ehefrauen sind steuerlich nicht begünstigt
Noch vor ein bis zwei Generationen war auch in Schweden der Platz der Frau im Haushalt. Jetzt ist es umgekehrt: Heute arbeiten fast 80 Prozent der Schwedinnen, die im berufsfähigen Alter sind. In Deutschland hinkt man da bekanntlich noch etwas hinterher. Das hängt auch damit zusammen, dass im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zu wenig Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stehen – ganz besonders fehlen sie für Kinder, die noch keine drei Jahre alt sind, und für Schüler.
Jetzt holt Deutschland langsam auf, was wir als Nachbarland natürlich sehr begrüßen. Die neue Regierung hat seit 1998 etliche Fördermaßnahmen ergriffen: Dazu gehören Steuererleichterungen, Kinderfreibeträge, eine familienfreundliche Komponente bei der neuen Rente und ein nochmals erhöhtes Kindergeld.
Doch so richtig es ist, die Familien zu unterstützen – in Skandinavien haben wir die Erfahrung gemacht, dass es genauso wichtig ist, dass der Staat und die Kommunen direkt in Angebote der Kinderbetreuung investieren. Nur wenn die Kinder versorgt sind, ist es den Frauen auch tatsächlich möglich, berufstätig zu sein. In Schweden liegt daher das Kindergeld zwar niedriger als in Deutschland, doch dafür wird die Kinderbetreuung kräftig subventioniert. Es gibt eine Platzgarantie und einkommensabhängige Gebühren. Ab 2002 wird eine obere Kostengrenze eingeführt, die „Maxtaxa“. Etwa 70 Prozent der Kinder im Alter von einem bis zu fünf Jahren werden außerhalb ihrer Familie betreut. Grundschüler bis zu einem Alter von neun Jahren besuchen zu etwa 60 Prozent einen Hort.
Eine ähnliche Einstellung, nämlich Frauen entlasten zu wollen, herrscht auch in der schwedischen Altenpflege. In Deutschland betrachtet man es oft als ehrenwerte Selbstverständlichkeit, die Eltern bei sich aufzunehmen, wenn diese ihren Haushalt nicht mehr allein führen können. Besonders nahe liegend erscheint diese Lösung, wenn die Tochter oder Schwiegertochter Teilzeit oder gar nicht arbeiten.
In Schweden ist dieser Ansatz eher selten. Stattdessen besteht seit langem ein gut ausgebautes kommunales System, das Ältere mit Haushaltshilfen unterstützt. Die Senioren können auf diese Weise so lange wie möglich in ihrer eigenen Wohnung bleiben.
Allerdings ist dieses System momentan unterfinanziert, daher hat in Schweden eine lebhafte Diskussion darüber eingesetzt, wie man dieses Angebot dennoch aufrechterhalten kann. Alle europäischen Untersuchungen zeigen, dass allein erziehende Eltern – meist ist es die Frau – finanziell am schlechtesten gestellt sind. Doch ausgerechnet sie werden in Deutschland nicht besonders stark gefördert. Stattdessen stehen meist jene Paare steuerlich am günstigsten da, von denen ein Partner gar nicht arbeitet (wegen des Ehegattensplittings).
Unterstützt werden also nicht Eltern – honoriert wird die Hausfrauenehe. Systematisch werden Frauen vom Beruf fern gehalten. In Schweden wurde daher die Gesamtbesteuerung von Ehegatten schon in den 60er- und 70er-Jahren überwiegend abgeschafft; dies war ein Teil der Gleichstellungsreformen.
Da also in Schweden die Ehepartner grundsätzlich getrennt veranlagt werden, muss jeder Erwerbstätige mehr Steuern zahlen, als dies nach der deutschen Steuerklasse 3 der Fall wäre. Daher hat eine schwedische Familie – anders als in Deutschland – große Schwierigkeiten, nur von einem einzigen Einkommen zu leben. Das ist der Grund, weshalb weit mehr Frauen als in Deutschland berufstätig sind.
Die Hausfrau ist in Schweden nicht die Norm und soll sie auch nicht sein – wir möchten aber, dass die Eltern dennoch die Chance haben, wenigstens eine Zeit lang zusammen mit ihren kleinen Kindern zu Hause bleiben zu können. Daher gibt es einen staatlich finanzierten Erziehungsurlaub – die so genannte Elternzeit. Elf Monate lang wird an ein Elternteil „Elterngeld“ gezahlt, das bei 80 Prozent des Einkommens vor der Geburt des Kindes liegt. (Diese 80 Prozent beziehen sich allerdings auf maximal 23.000 Kronen, also etwa 5.000 Mark Bruttoeinkommen im Monat. Eine Erhöhung dieser Obergrenze ist für das Jahr 2002 geplant.) Wer vor der Geburt des Kindes gerade studiert hat oder arbeitslos war, erhält eine Garantiesumme von 60 Kronen pro Tag (13 Mark). Diese Summe wird 2002 auf das Doppelte erhöht und 2004 schließlich 180 Kronen betragen.
Darüber hinaus gibt es einen so genannten „Vatermonat/Muttermonat“, der beiden Eltern zusteht, aber nicht auf den Partner übertragbar ist. Ab dem Jahr 2002 kommt dann noch ein weiterer Monat hinzu. Wird dieser nicht ausgenutzt, verfällt er ganz. Allerdings ist es schon jetzt so, dass nur 50 Prozent der schwedischen Männer von ihrem Vatermonat Gebrauch machen. Zudem sind es – anders, als man in Deutschland manchmal von den schwedischen Männern glaubt – lediglich zehn Prozent, die ihr Recht auf Elternzeit vollständig ausnutzen.
Auch manches schwedische Unternehmen hat inzwischen begriffen, dass seine Familienpolitik ein entscheidender Faktor bei Neueinstellungen ist. So garantieren die Firmen ihren wichtigeren Mitarbeitern, dass sie die Differenz zwischen dem staatlichen Elterngeld und dem Gehalt ausgleichen, damit kein Verlust entsteht und man die Elternmonate wirklich genießen kann. Dennoch gibt es leider immer noch viele Männer, die Angst um ihre Karriere haben und auf dieses Angebot verzichten. Daher ähnelt die schwedische Situation dann doch der deutschen.
Aber es besteht Hoffnung, in Schweden wie in Deutschland. Das Thema Gleichstellung ist längst keine pure Frauensache mehr. Männer wie Frauen sind sich im Prinzip einig, dass sie Familie und Beruf besser vereinbar machen wollen. Ein Beispiel, wie manchen Berufsgruppen dabei geholfen werden kann, ist die Informationstechnologie. Es gibt Unternehmen, deren Mitarbeiter überhaupt kein Büro mehr haben oder die sich mit Kollegen einen Arbeitsplatz teilen. Mit Laptop und Handy können sie zu Hause arbeiten.
Im Frühjahr hat der Europäische Rat in Stockholm ein gemeinsames Ziel auch für die Kinderbetreuung und Altenpflege in den EU-Staaten beschlossen. Bis Ende des Jahres will man gemeinsame Indikatoren entwickeln, um Vergleiche – das so genannte Benchmarking – zu vereinfachen. Dies gilt auch für die Gleichstellung. Man will erreichen, dass Frauen und Männer bei vergleichbaren Arbeitsaufgaben auch das Gleiche verdienen. Zudem hat man in Stockholm beschlossen, dass die Gleichstellungsdirektive innerhalb der Europäischen Union schon in diesem Jahr verschärft wird.
Wie in der Vergangenheit, so erweist sich die Europäische Union wieder als Motor bei der Gleichstellungspolitik: Mit gemeinsamen Ansätzen lässt sich erreichen, dass Frauen und Männern ihr Familien- und Berufsleben besser vereinbaren können.
MATS HELLSTRÖM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen