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harald fricke über ShoppingHaben und nicht gehabt haben

In den Siebzigern schenkten sich viele von uns das Schenken. Heute kaufen wir die Souvenirs der gemeinsamen Jugend

Dieser Text war nicht geplant. Denn eigentlich sollte hier eine Mahnung stehen, weil das deutsche Volk zu viel klaut. Ja, schlimm ist es: Deutschland begeht Ladendiebstahl, alle zehn Sekunden wechselt ein Gegenstand den Besitzer und der ursprüngliche Besitzer, der aber meistens nicht wirklicher Besitzer ist, sondern mehr so ein Angestellter oder eine Aushilfskraft, bleibt ohne Bezahlung zurück, mit einem Schaden von 140 Millionen Mark jährlich, allein in Berlin. Dagegen hätte dieser Text einen Beitrag leisten können, um zu klären, was zu tun ist, jetzt, da ganz Deutschland der Klausucht verfallen ist, bevor RTL 2 darüber besorgt in einer Sendung über „Luder, Laster, Ladendiebstahl – was Deutsche hemmungslos mitgehen lassen“ berichtet. Schließlich stehen Kondome und Lippenstifte absolut an der Spitze des Diebesguts. Danach kommen allerdings – Baumarktartikel, vom Hobel bis zum Hammer. Wenn man nun aber Hammer und Kondome zusammenzählt und mit Lippenstiften multipliziert, dann kommt, o, là, là, eine ziemlich gut recherchierte RTL-2-Reportage heraus. Oder halt eine taz-Kolumne.

Doch leider fand ein Kollege, der hier kurz stellvertretender Chefredakteur genannt werden soll, die Enthüllung für „das Blatt“, wie diese Zeitung gerne im Fachjargon der Redakteure heißt, nicht so interessant. Er wollte lieber etwas über Geschenke lesen, darüber, dass er schon seit seiner Jugend keine Geschenke mehr zu Hause bekommt, weil dort das Schenken abgeschafft wurde. Und dass ihn dieses Nichtbeschenktwerden traurig gemacht hat mit der Zeit.

Vermutlich geht es den Generationen, die zwischen 1970 und 1980 ihre Kindheit hatten, ganz ähnlich. Damals war Schenken plötzlich aus der Mode gekommen, galt sogar in manchen Elternhäusern als verwerflich. Statt sich Weihnachten oder an Geburtstagen gegenseitig Kisten voller Konsumgüter auf den Tisch zu stellen, so der Glaube in diesen Jahren, sollte man lieber eine Patenschaft in Afrika oder Indien übernehmen. Wer trotzdem schenken wollte, sollte die Gaben doch bitte an Verwandte in „die Zone“ schicken, denn dort würden Dinge noch wirklich gebraucht. Und so hatte man kurz nach Weihnachten für ein halbes Jahr ein Patenkind in Afrika oder Indien, das sich, das stand zumindest in der Wurfsendung, die wenig später im Postkasten lag, riesig über Brot und Medikamente freute. Auch die Verwandtschaft aus dem Osten schrieb und bedankte sich für die Jeans, wollte aber beim nächsten Mal doch lieber Wrangler und keine Palomino-Hosen.

Heute kommt einem dieses Ritual der Ersatzgaben fürs gute Gewissen sehr fremd vor. Wahrscheinlich wäre es den meisten Leuten in Cottbus schrecklich peinlich, würde man weiterhin in Hamburg oder Ingolstadt Päckchen der Solidarität für sie packen. Denn dafür gibt es doch längst den Solidarpakt. Umgekehrt ist auch die Vorstellung beschämend, dass die Kinder, die jahrzehntelang in Afrika oder Indien unterstützt wurden, mittlerweile an den Grenzen von Schengen abgewiesen werden, wenn sie als Erwachsene hier Asyl, vielleicht aus ökonomischen Gründen, suchen. Jedenfalls ist die Barmherzigkeit von einst auch nur eine bemühte Alternative zu den heimischen Geschenkfesten gewesen.

Bleibt die Frage, was man jetzt all denen schenken soll, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren Teil, wenn nicht Opfer der Verweigerungsbewegung waren. Denn die haben sich inzwischen ja auch die ganzen mehr oder weniger nützlichen Dinge selbst gekauft, die ihre Eltern ihnen damals um des sozialen Guttuns willen vorenthielten. Deshalb stehen bei Menschen um die vierzig nagelneue Carrera-Bahnen in Original-Verpackung auf dem Kleiderschrank: nicht zum Spielen, aber zum Haben, als rückwärts gewandte Befriedigung dessen, was in der Erinnerung früher so schmerzlich fehlte. Das sind überhaupt die einzigen Sachen, die man sich gegenseitig noch schenken kann – irgendwie regressiv gepolte Symbole, Souvenirs an eine gemeinsame Jugend, in die ein zum Geburtstag mitgebrachtes Bonanzarad oder ein Tipp-Kick vom Trödel noch den erfolgreichen Computerunternehmer blitzartig wieder hineinzieht. Weil das, was man nicht hatte, oft genau das ist, was einen ausmacht, denn der Mensch ist am Ende doch immer – ein Mängelwesen. Und das Schenken wiederum ist eine Einstellung zum anderen, in der sich immer auch das Bild, das man von sich selbst hat, spiegelt. Vielleicht war deshalb die geschenklose Zeit nicht der souveräne Ausdruck für Mitgefühl und Wärme am Nächsten, sondern ein Zeichen sozialer Verlegenheit.

Fragen zu Shopping?kolumne@taz.de

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