: Mehr Fusionen ab 2002
Die Steuerreform der Bundesregierung begünstigt Verkäufe und neue Zusammenschlüsse von Firmen. Eine Umfrage unter Finanzexperten ergab dies
HAMBURG taz ■ Deutschland steht vor einer neuen Fusionsflut, erwarten Finanzexperten aus Banken, Versicherungen und Industrie. Laut einer Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung werden Unternehmensübernahmen ab dem Jahr 2002 wesentlich häufiger stattfinden als bisher. Der Grund ist die Steuerreform der Bundesregierung.
Bereits im vergangenen Jahr hatte es einen Fusionsboom gegeben. Die Zahl der europäischen Firmen-Ehen stieg gegenüber dem Jahr 1999 um über 60 Prozent, ermittelte das Institut Thomson Financial in Frankfurt. Für das kommende Jahr wird ein neuer Fusionsrekord erwartet. Dieser Meinung sind rund 280 Finanzexperten aus Banken, Versicherungen und Industrie, die das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) befragt hat.
Im Rahmen ihres monatlichen „ZEW-Finanzmarkttests“ baten die Mannheimer Forscher um Auskunft über die erwartete zukünftige Fusionsentwicklung in Deutschland. Knapp 90 Prozent der Befragten sehen bei großen Firmenzusammenschlüssen einen neuen Rekord voraus. Infolge der im vergangenen Herbst verabschiedeten Steuerreform der Bundesregierung sind Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften ab dem Jahr 2002 in der Regel steuerfrei. Dadurch können Milliardenschätze, die jahrzehntelang in stillen Reserven ruhten, bald gehoben und verkauft werden.
Rund 350 Milliarden Mark beträgt der Beteiligungsbesitz deutscher Unternehmen insgesamt. Die Regierung hofft, mittels ihrer steuerlichen Großzügigkeit die berüchtigte „Deutschland AG“ zu entflechten. Über Kapitalbeteiligungen, Depotstimmen und personellen Verflechtungen sind die meisten deutschen Großkonzernen auf das Engste miteinander verflochten – zum Ärger von Politikern und Aktienhändlern.
Nach Ansicht der vom ZEW interviewten Marktbeobachter werden vor allem Finanzdienstleister von diesem Teil der Steuerreform profitieren. So glauben über 87 Prozent der Experten, dass Kreditinstitute und Assekuranz zu den Gewinnern zählen werden. „Ein wichtiger Grund für diese Einschätzung dürfte sein, dass Banken und Versicherungen immer noch ein breit gefächertes Portfolio von Unternehmensbeteiligungen halten“, meint Jens Köke vom ZEW. Mit der Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen können die Geldgiganten ihre noch ruhenden stillen Reserven kapitalisieren und gleichzeitig ihr Portfolio „strategisch neu ausrichten“, sagt Köke. Allein die Deutsche Bank verfügt über dicke Aktienpakete bei Allianz und Münchner Rück, bei Daimler, Holzmann, Linde und Continental. Im Geschäftsbericht der Großbank werden die stillen Reserven allein der „wesentlichen börsennotierten Industriebeteiligungen“ auf 35 Milliarden Mark beziffert – legal gebunkerte Gewinne, die im kommenden Jahr steuerfrei realisiert werden können.
Das ZEW befragte die Finanzmarktexperten außerdem, in welchen Branchen ihrer Meinung nach Übernahmen besonders häufig auftreten werden. Auch hier konzentrieren sich die Erwartungen auf die Finanzdienstleister. So meinen mehr als 43 Prozent, dass Übernahmen unter Banken stark zunehmen werden. Knapp 27 Prozent erwarten dies für die Versicherungsbranche. Mit einer steigenden Zahl von Fusionen rechnen die Fachleute daneben für die folgenden Branchen: Informationstechnologie (23 Prozent), Maschinenbau (20 Prozent), Telekommunikation (18 Prozent) und Chemie/Pharma (17 Prozent).
Das Übernahmegesetz der Bundesregierung ist dagegen immer noch nicht fertig. Es bedarf einer Überarbeitung. Pünktlich zum Jahreswechsel soll das Gesetz allerdings in Kraft treten.
HERMANNUS PFEIFFER
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