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Schilys Drohungen lassen Birthler kalt

Innenminister setzt Beauftragte für Stasiakten weiter unter Druck. Grüne und Vorgänger Gauck stellen sich vor Birthler

BERLIN taz ■ Von einem Ultimatum wollte der Sprecher von Otto Schily nichts wissen. Eine Antwort auf den Brief des Innenministers werde aber bis Mitte der Woche schon erwartet. In einem Schreiben hatte Schily die Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, aufgefordert, bis heute, „12 Uhr schriftlich zu bestätigen“, Akten von Prominenten künftig nicht mehr ohne deren Zustimmung herauszugeben. Andernfalls, berichtet der Spiegel, drohte Schily mit einer förmlichen Weisung.

Das Berliner Verwaltungsgericht hatte am Mittwoch der Klage von Exkanzler Helmut Kohl gegen die Herausgabe seiner Stasiakten stattgegeben. Der Opferschutz habe Vorrang vor allen anderen Zielen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Bereits unmittelbar nach dem Urteil verlangte Schily von Birthler, sich in vergleichbaren Fällen künftig an die Auflagen des Gerichts zu halten.

Birthler zeigt sich unbeeindruckt. Bis Dienstschluss am Freitag sei kein Brief eingegangen. Bis das Urteil rechtskräftig sei, wolle sie von Fall zu Fall über eine Herausgabe von Akten entscheiden. Ihr Sprecher Christian Booß wurde noch deutlicher: Ein Ultimatum Schilys sei gar nicht möglich, da die Rechtsaufsicht beim Kabinett liege. So steht es im Stasi-Unterlagen-Gesetz.

Auf die Grünen kann Schily nicht hoffen. Es sei „schlichtweg Unsinn“, anzunehmen, Birthler halte sich nicht an Recht und Gesetz, sagte Parteichefin Claudia Roth gestern. Niemand wisse, ob das Urteil Bestand habe. Die Grünen würden „keinen rechtsaufsichtlichen Maßnahmen gegen Birthler“ zustimmen. Schily solle aufhören, so Fraktionschef Rezzo Schlauch, sich „wie ein Schulmeister gegenüber einem Schulmädchen“ zu verhalten.

Auch in seiner Partei stößt Schily auf Kritik. Laut Einigungsvertrag müssten die Stasiakten weitgehend offen gelegt werden, so SPD-Vizefraktionschef Ludwig Stiegler. Das Urteil sei „verfassungsrechtlich nicht haltbar“. Sollten es die nächsten Instanzen bestätigen, müsse das Stasi-Unterlagen-Gesetz präzisiert werden. „Der Gesetzgeber ist das Parlament.“ Unterstützung erhielt Birthler auch von Vorgänger Joachim Gauck: Kein noch so konservativer Innenminister habe solch eine Tonart wie Schily angeschlagen. NICOLE MASCHLER

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