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berlinbuch-boomAlles im Lot

Entsolidarisierung

Wenn jemand, der nicht in Berlin wohnt, an Berlin denkt, dann fällt ihm ein: Schnauze. Und Molle. Merkwürdiger Humor bezüglich des Titulierens von Gebäuden: langer Jammer, schwangere Auster, Telespargel. Komische Verkürzungen beim Benennen von Straßen und Plätzen: Pottse, Kolle, Wilmi und Kutschi. Dann denkt man noch an die vielen Dönerbuden. Und natürlich nicht zu vergessen, die obligatorische Currywurst.

Das stimmt auch alles, und gleichzeitig stimmt daran doch überhaupt nichts mehr (außer die Currywurst, die ist in Berlin so wichtig wie im Rest der Republik). Die Berliner Schnauze gibt es kaum noch, nicht einmal in Charlottenburg Nord oder Hellersdorf kommen auf einen Originalberliner nicht mindestens eineinhalb gebürtige Nichtberliner. Auch ist niemand bereit – obschon die BZ das so gern durchgesetzt sähe – das neue Kanzleramt „Waschmaschine“ oder den neuen Bürgermeister „Pobereit“ zu nennen.

Den Berliner an sich gibt es nicht. Berlin ist eine Ein- und Auswanderstadt. Daher hat Berlin auch kaum etwas Urtümliches. Das aber kommt den Lokaljournalisten überhaupt nicht zupass, denn so haben sie eine Klientel zu bedienen, von der sie nur bedingt wissen, wie sie denkt, welche Eigenschaften sie pflegt oder wie sie angesprochen sein will. Sie setzt sich zusammen aus Kielern und Nürnbergerinnen, und niemand weiß, wie sie denken. Also erfinden sie der Einfachheit halber seit Jahren den „Urberliner“, den prototypischen „einfachen Menschen“ und schreiben ihm willkürlich Urteile und Meinungen zu. Dabei sind sie so echt wie Wolfgang Gruner als Fritze Flink bei Dalli-Dalli. Dennoch haben die Journalisten Erfolg: Die da draußen, die es nicht überprüfen können, und die in Berlin, die das Gefühl von Heimat und Heimatkultur nötig haben (also die Mehrheit), glaubt ihnen unbesehen.

Einer jener Autoren, die es ganz offensichtlich so halten, ist Andreas Wenderoth. Sein Buch „Nicht jeder Puff hat Pfeffer und Salz“, das verschiedene seiner Lokalreportagen versammelt, ist so öd kumpelhaft und augenzwinkernd wie sein Titel.

Es berichtet von einer Brötchenverkäuferin, die auch Bordelle versorgt, von einem Rentner, der zwar schwer säuft und ruppig daherkommt, aber auch das Herz auf dem rechten Fleck hat. Es redet von Radfahrern, besessenen Autofahrern, Laubenpiepern, Modellbauern und dem versöhnlichen jüdischen Goldschmied.

Die Reportagen sind nicht mal besonders schlecht geschrieben, doch kennen sie immer nur Dreierreihungen wie „Zigarettenhändler, Unfallprotokolle oder Selbstmörder“ (über das Leben eines Kommissars), machen einen langen Satz und dann wieder zwei kurze, und stellen alles so simpel dar, dass am Ende alle eins sind, Modellbauer wie Hupenheld. Sie sind keine Individuen, sie sind reine Klischees. Stimmte das Bild von Wenderoth gezeichnete Bild, wären alle Menschen gleich Scheiße, weil ihnen nur irgendwas passiert, sie damit irgendwie zurechtkommen und es doch nur gut meinen. Der Rest ist Schicksal. Eine derartige Darstellung ist aber nicht DAS Leben, sondern nur so was wie die Zusammenfassung eines Ausfluges durch einen gelangweilten Jungen, der dann noch schnell schreibt: „Essen schmeckt gut“, bevor er mit seinen Freundinnen und Freunden zu den Abenteuern aufbricht, von denen er seinen Eltern lieber nichts erzählt.

Andreas Wenderoth, der für GEO, Berliner Zeitung, Berliner Kurier und – hihi – den Playboy arbeitet, hat dabei zu allen Leuten, die er porträtiert das immer gleich Verhältnis: ein ironisch-distanziertes, also keines. Sie und ihre Geschichten sind ihm nichts als Material und egal, und er schaut sie an, wie der empathische Betrachter in den Zookäfig schaut. Hier gibt es Puffs, hier Frührentner, hier erbärmliche Spießerschicksale, das schreibe ich mal hübsch auf und ziehe mich dann fein zurück hinter den Schreibtisch und die Cocktailserviertische. Das Buch „Nicht jeder Puff hat Pfeffer und Salz“ ist ein weiteres Dokument der Entsolidarisierung. Sonst steht leider nichts drin. JÖRG SUNDERMEIER

Andreas Wenderoth: „Nicht jeder Puff hat Pfeffer und Salz“. Berliner Szenen. Picus Verlag, Wien 2001, 166 Seiten, 29,80 DM

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