: Spott der anderen schweißt zusammen
Zwei Berliner Schulklassen tragen probeweise Uniformen. Größter Effekt: Der Medienrummel nervt die Jugendlichen
Die Schüler der 8a des Willi-Graf-Gymnasiums in Berlin-Steglitz machen sich ernsthaft Sorgen, ob sie mit dem Lehrplan durchkommen. Nicht, weil sie eine Klasse voller Streber sind. Seit Ende Mai beteiligen sie sich zusammen mit der 10c der Heinrich-Ferdinand-Eckert-Hauptschule in Berlin-Friedrichshain an einem Modellversuch des Tagesspiegels und tragen jeden Tag eine Schuluniform. Seither können sie sich vor Kamerateams und Journalisten nicht mehr retten und sind inzwischen sowohl von den Klamotten als auch vom Medienrummel völlig genervt. „Ich hab dem Schulleiter gesagt, er soll uns so versetzen. Wir haben ja gar keine Zeit mehr für Unterricht“, meint die 14-jährige Esther.
Denn der Run auf die Uniform-Schüler nimmt kein Ende. Die niedlichen Jugendlichen im vom Kaufhof am Alex gesponserten Einheitslook – hellblaues Polohemd, Trainingshose und Pulli – sind für die Medien ein gefundenes Fressen. ZDF, Sat1, RTL, Bild, die Berliner Zeitungen, Super Illu, der Hessische Rundfunk, Deutschlandfunk und sogar eine japanische Zeitung kamen in die Steglitzer Schule. Und alle stellten immer dieselben Fragen: „Wie fühlt ihr euch in der Uniform? Wer war dafür, wer war dagegen? Wir spulen inzwischen nur noch unseren Text ab“, erzählt Jakob aus der 8a genervt.
Klassenlehrerin Marianne Strohmeyer ist dazu übergegangen, die Journalisten zu einem gemeinsamen Termin in die Schule zu bestellen. Wenn sie gewusst hätte, was auf sie zukommt, hätte sie den Modellversuch eher nicht gestartet, sagt sie. Mit dem Medienrummel habe sie nicht gerechnet. Eigentlich wollte sie mit den Schülern einfach nur ein Projekt machen, das die Klassengemeinschaft verbessere.
Ob der Modellversuch das bewirkt hat? „Ja, aber nur, weil uns das ganze Medien-Theater zusammenschweißt und in der Schule sonst keine Klasse Uniform trägt“, sind sich die Jugendlichen einig. Das verbindet. „Ihr dreckigen Schuluniform-Kinder, ihr seid scheiße und der Witz der Schule. Alle lachen über euch“, hat jemand aus der Parallelklasse in einen der hinteren Tische geritzt. „Ihr seid doch nur neidisch“, kritzelte die 8a darunter.
Gegen den Spott der anderen Schüler hält die Klasse zusammen. Auf dem Pausenhof steht keiner mehr allein herum – für die, die vorher Außenseiter waren, eine positive Entwicklung. „Einige ziehen die Uniform nicht einmal nachmittags aus und gehen damit sogar in den Sportverein“, berichteten Eltern der Klassenlehrerin. In dieser Hinsicht hat die Einheitskleidung die Schüler der 8a tatsächlich zusammengeführt. Trotzdem sind sie sich einig: Wenn das ganze Gymnasium Uniform tragen würde und nicht so viele Journalisten ankämen, wäre der Effekt des Projekts ein ganz anderer. Als Modellversuch taugt das ganze Spektakel insofern nicht.
Doch das stört eigentlich niemanden. Der Tagesspiegel hat sich mit der Aktion gut promotet. Ebenso der Kaufhof, der sich den Spaß immerhin 22.000 Mark kosten ließ. Die Debatte um Schuluniformen hat neue Nahrung gefunden.
Auch Schulleiter Eberhard Jahn ist der Wirbel ganz recht. Denn er hofft, mit dem Projekt die Mängel im Bildungswesen generell stärker in den Blickpunkt zu rücken. Uniformen seien ja gut und schön, aber es müssten auch junge Lehrer her und Mittel für die bauliche Erhaltung, hatte er schon beim Start des Modellversuchs betont.
Eine Woche bis zu den Sommerferien müssen die Jugendlichen noch durchhalten, denn das Projekt einfach kippen wollen sie nicht. Ein Junge aus der Friedrichshainer 10c hatte zwar „einfach keinen Bock mehr“, zog sein Fleece-Shirt aus, zerriss es und schmiss es in den Mülleimer. Doch das machen die Steglitzer Schüler nicht. Obwohl besonders die Mädchen gerne mal wieder Kleider anhätten, die ihnen auch passen. Denn bei der Bestellung der T-Shirts wurden die amerikanischen mit den deutschen Größen durcheinandergebracht. Die Polo-Hemden langweilen die Mädchen nicht nur. Sie schlabbern auch seit Wochen nur so an ihnen herum. Da ist es kein Wunder, dass die Schüler sehnlichst auf die Sommerferien warten. ANTJE LANG-LENDORFF
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