: Peres gibt den Ton an, Scharon profitiert
Die Zusammenarbeit zwischen Premier Scharon und seinem Außenminister Peres wird in Israel heftig kritisiert. Dabei funktioniert sie bestens: Peres darf israelische Militärschläge verhindern, Scharon muss nicht über Frieden verhandeln
JERUSALEM taz ■ Jossi Beilin schimpft seinen früheren Chef im Außenministerium noch immer „das Feigenblatt“ von Ariel Scharons konservativer Regierung. Gemeint ist Schimon Peres, Israels Außenminister. Schon im Vorfeld der Koalitionsgründung vergangenen März warnten linke Kritiker Peres vor einem Zusammengehen ihrer Arbeitspartei mit dem Likud: Peres dürfe sich nicht von Premierminister Scharon in die Welt schicken lassen, um das israelische Kriegstreiben zu beschönigen.
Doch Peres ließ sich nicht beirren. „Er ist durchaus in der Lage, eine Situation zu überdenken und dazuzulernen“, schätzte er Scharon bereits vor dessen Regierungsantritt ein. Inzwischen wurde der israelische Premier, verschrien als Hardliner und Bulldozer, zum Lieblingskind der Amerikaner. Auch die Europäer sind zufrieden mit dem Stillhalten des Mannes, dem für sein Zutun am Massaker in den libanesischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatilla 1982 ein Kriegverbrecherprozess droht. Ist Scharon heute ein anderer als vor zwanzig Jahren? Oder ist es Peres, der immer zur rechten Zeit die Zügel strafft?
Seit gut einem Monat tanzt das Kabinett in Jerusalem nach der Pfeife von Schimon Peres. Nach dem Attentat auf eine Diskothek in Tel Aviv am 1. Juni war Scharon zu einem Vergeltungsschlag gegen die Palästinenser entschlossen. Die Minister im „Küchenkabinett“ stellten sich hinter ihren Chef, doch Peres wandte ein, dass es günstiger sei abzuwarten. Erst sollten die Toten begraben werden, Militäraktionen seien auch später noch möglich, meinte er. Statt erneuter Bombardements solle man den Moment nutzen, in dem Israel die Sympathie der Welt auf seiner Seite habe.
Inzwischen ist es zu spät für eine Vergeltung der 21 Toten von Tel Aviv. CIA-Chef George Tenet verordnete Waffenruhe, und Israel hielt sich bislang weitgehend daran. Bei Schusswaffen-Angriffen von palästinensischer Seite blieben die israelischen Soldaten lange Zeit ruhig. Allerdings behält sich die Armee vor, Palästinenser, die Geheimdienstinformationen zufolge Terroraktionen planen, gezielt hinzurichten. Das sei „ein Akt der Selbstverteidigung“, lautet dafür die Definition der Regierung in Jerusalem. Die USA kritisieren die Exekutionen zwar, betrachten sie aber offiziell nicht als Verletzung der Feuerpause.
Einigen israelischen Ministern reicht die Politik der „Selbstverteidigung“ bei weitem nicht aus. „Die Kabinettssitzungen verlaufen ohne demokratische Abstimmungen“, schimpfte der orthodoxe Arbeits- und Sozialminister Schlomo Benisri jüngst über die Regierungsentscheidung, die Politik der Zurückhaltung fortzusetzen. Peres dagegen zeigte sich sichtlich zufrieden. Zwar vertrete er eine Minderheit, doch: „Was zählt, ist das Ergebnis.“ Es war ihm erneut gelungen, die Kampfeslust des Regierungschefs zu erweichen.
Die bisher erfolgreiche Partnerschaft zwischen Scharon und Peres sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass zwischen dem Premier und dem Außenminister ideologische Welten liegen. Nicht ohne Grund gerieten die beiden Politiker letzte Woche aneinander, als Peres die amerikanische Initiative zu einem Treffen mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat aufgriff, was Scharon als verfrüht empfand. Am Morgen noch erklärte Peres wutschnaubend, er werde sich seine Politik nicht diktieren lassen. Schon am Abend war der Streit geschlichtet. Im Gegensatz zu dem schwierigen Verhältnis, das Peres mit Jitzhak Rabin, seinem langjährigen Rivalen in der Arbeitspartei, verband, stand zwischen ihm und Scharon nie der Wettstreit um Posten. Seit den Zeiten Ben Gurions treffen sie in Israels Politik immer wieder aufeinander. „Dies ist kein honeymoon“, schreibt Sima Kadmon in der israelischen Zeitung Jediot Aharonot, „hier ist von einer goldenen Hochzeit die Rede.“ Die beiden Politiker schätzen sich und sind mit Blick auf ihr politisches Überleben voneinander abhängig. Noch wiegt ihre Freundschaft schwerer als die ideologischen Differenzen.
Peres propagiert wirtschaftliche Erleichterungen für die Palästinenser und eine Fortsetzung des Dialogs aufgrund des Osloer Abkommens von 1993. Genau das kommt für Scharon nicht in Frage. Er glaubt nicht an den politischen Weg, weiß aber, dass ein Militärschlag weder Frieden noch Sicherheit bringt. Aus Scharons Perspektive wäre ein Andauern der derzeitigen Lage am besten. Nie war er populärer als heute. Entsprechend der US-Initiativen würden nach sechs Wochen „Abkühlungsphase“ und einer Frist für vertrauensbildende Maßnahmen die Endstatus-Verhandlungen fortgesetzt. Aber der Premier hat den Palästinensern nicht viel zu bieten. Ein Andauern der Gewalt auf derzeitigem Niveau wäre deshalb nicht nur vorteilhaft für den Fortbestand seiner Großen Koalition. Sie würde ihn vor allem vor einer Wiederaufnahme der Verhandlungen bewahren.
SUSANNE KNAUL
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