: Irgendein System siegt immer
Den Tresen heben: Die „Ortsbegehung“ im NBK kommentiert das Verschwinden öffentlichen Raums und die Berliner Fassadengläubigkeit
von HARALD FRICKE
Ein Dank geht an das Bundesvermögensamt. Weil die Dienststelle das „Traubenrelief“ an F.R.E.d Rubin ausgeliehen hat. Die Trauben, walnussgroße Kugeln aus Edelstahl, wurden in Blasenformation auf gewölbte Metallplatten geschweißt. Das Arrangement verzierte ab 1976 das gastronomische Zentrum im neu eröffneten Palast der Republik.
Einige Teile dieser futuristischen Trinklandschaft hat der Bildhauer Rubin in den vergangenen sechs Jahren zu Clubeinrichtungen für die wechselnden Locations des WMF umgebaut. Ansonsten wären die Interieurs während der never ending Asbestreinigung des Palasts vermutlich mit weggerissen worden. Für den Künstler war die Rettung der DDR-Reliquien durchaus erfolgreich: Sein „Licht-Nominat AAB“ wurde letztes Jahr sogar im Auswärtigen Amt ausgestellt.
Jetzt findet sich sein „Palastbartransfer“ als weitläufige Installation neben Fotos von Katalin Deér und Objekten von Karsten Konrad im Neuen Berliner Kunstverein wieder. Rüdiger Lange, als Kurator für die „loop“-Räume in der Schlegelstraße zuständig, hat ihn zur „Ortsbegehung 7“ eingeladen, weil Rubins zerlegter Tresen in sein Konzept von „Modell/Skulptur“ passt, bei dem es auch darum geht, das Leben in den kulturellen Off-Spaces von Mitte zu zeigen. „Die Tatsache, dass der Projektraum zur Schnittstelle zwischen ‚Privat und Öffentlich‘ und zum Netzwerk ‚Familie‘ wurde, hatte Konsequenzen für seine Gestaltung“, wie Lange im Katalog schreibt.
Heute existiert diese Zwischenzone nicht mehr. Die Treffpunkte wurden entweder von potenteren Mietern verdrängt, oder sie haben sich den kommerziellen Bedingungen untergeordnet. Deshalb mag Lange mit Blick auf die Ausstellung auch nicht mehr von Symbolen einer Gegenöffentlichkeit sprechen, sondern lieber von „Skulptur als selbstreferenzieller Einheit“. Wo aber die ursprünglichen Zusammenhänge fehlen – zur „Ortsbegehung“ sind sie nicht weiter dokumentiert –, gerät auch die historische Zeugenschaft ins Schwimmen. Die Lücke zwischen der staatlichen Repräsentation im Osten und der coolen Nachwende-Funktionalität sieht man dem von Rubin kompliziert an einer Hebehydraulik befestigtem Tresen jedenfalls nicht mehr an. Jetzt ist das Objekt eher ein Fetisch für Arbeiterkulturnostalgiker, die sich um die Probleme des „Bitterfelder Wegs“ nicht mehr zu scheren brauchen. Irgendein System siegt immer.
Trotzdem bleibt auch beim „Palastbartransfer“ ein Rest Verunsicherung: Wie hältst du es mit den sozialen Utopien, Genosse? Bei Karsten Konrad sind daraus minimalistische Kästen geworden, die er in Sarggröße aus Spanholz und Plexiglas zusammenleimt. Sieben solcher Modelle mit Titeln wie „Du(c)e“ oder „modern gilb“ stehen über den Raum verteilt auf Sockeln. Die an Blockbauten erinnernden Objekte spielen mit der Fassadengläubigkeit im Berliner Stadtbild – leichte äußerliche Abweichungen bei gleichem Volumen.
Als Kommentar auf die stumpfen Architekturstandards der neuen Mitte zitiert Konrad noch einmal die Stadtplanung der 20er-Jahre-Moderne mit ihrem Wunsch nach strenger Gliederung und räumlich geschlossenen Flächen. Dabei sind Konrads Modelle ironische Versatzstücke aus billigen Heimwerkermaterialien, die zugleich gegen die fadenscheinige Prächtigkeit von Entwürfen arbeiten, mit denen Architekturbüros um Aufträge buhlen. Die Flexibilität der urbanen Gestaltung entpuppt sich als das, was man sieht, wenn man durch die Friedrichstraße flaniert: überall Meterware.
Auch die aus Kalifornien stammende Katalin Deér sucht in ihren Fotografien nach Zeichen der fortschreitenden Urbanisierung. Allerdings baut sie stets einen kleinen Haken ein in ihre Aufnahmen aus dem städtischen Raum. Mal stellt sie dafür winzige Modelle auf reale Dächer, damit die Kluft zwischen Nutz- und Fantasieräumen sichtbar wird; mal collagiert sie Fotos ganzer Straßenzüge mit ihren eigenen Modellen, so dass im Aufprall der Widerspruch sichtbar wird, der heute das Verhältnis zwischen Privat und Öffentlich prägt. Was in den Neunzigerjahren in realen Clubs versöhnt werden sollte, ist nur noch imaginär möglich – als Trick am Computer. Immerhin bauen dort die Planer ihre Städte von morgen.
Bis 19. 8., Di.–Fr. 12–18, Sa. u. So.12–16 Uhr, Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129
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