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Spiel mit dem Tod

In Iran sitzen mehr Pressevertreter im Gefängnis als in jedem anderen Land. Akbar Gandschi ist das prominenteste Opfer der Teheraner Justiz

von FLORIAN HARMS

„Das größte Gefängnis für Journalisten in der ganzen Welt“ nennt die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ den Iran. Nach ihren Angaben sitzen mindestens 27 Pressevertreter in der Islamischen Republik hinter Gittern, 19 von ihnen ohne Gerichtsurteil.

Trotz der Wiederwahl des reformorientierten Staatspräsidenten Mohammad Chatami mit 76,9 Prozent der Stimmen vor sechs Wochen, dürfen die eingesperrten Journalisten nicht auf baldige Entlassung hoffen. Irans Justiz ist nach wie vor im Griff der religiösen Eiferer, in westlichen Medien oft als „Konservative“ tituliert. „Machtbesessene Betonköpfe“ wäre eine treffendere Bezeichnung. Angesichts der überwältigenden Unterstützung in der iranischen Bevölkerung für die verschiedenen Reformer-Fraktionen um Chatami, klammern sich diese Kräfte verzweifelt an ihre verbliebenen Einflussmittel: Polizei, Militär, Justiz und Presseaufsicht. Die Folge: Seit 1997 sind über 40 Zeitungen und Magazine verboten worden. Ein Beispiel für das organisierte Vorgehen gegen kritische Journalisten ist Akbar Gandschi. In seiner Jugend Propagandist der Revolution, Leibwächter von Ajatollah Chomeini und als Geheimdienstler für Verbrechen an Kurden verantwortlich gemacht, ist Gandschi heute ein führender Denker der Reformbewegung und bekanntester Enthüllungsjournalist Irans. Das heißt: Er war es.

Vor zehn Tagen wurde der 39-Jährige von einem Teheraner Gericht wegen „Gefährdung der Staatssicherheit“ zu sechs Jahren Haft verurteilt. Nachdem die Strafe zunächst auf zehn Jahre und anschließend auf sechs Monate festgelegt worden war, gilt das jetzige Urteil als endgültig und rechtskräftig.

Gandschi ist nach 15 Monaten Untersuchungshaft ein Schatten seiner selbst. Wer den umtriebigen Journalisten auf der Berliner Iran-Konferenz der Böll-Stiftung im April letzten Jahres erlebt hat und jetzt die Bilder seiner Gerichtsverhandlung verfolgte, musste erschaudern: Da kämpfte ein im Hungerstreik abgemagerter, kahl rasierter, um Jahre gealterter Mann gegen einen übermächtigen Justizapparat.

Neben Schlägen haben sich seine Peiniger im Teheraner Evin-Gefängnis eine weitere Folter für ihn einfallen lassen: Immer wieder pumpen sie ihn mit Drogen voll und sperren ihn in eine komplett weiße Isolationszelle. Nicht nur die Wände und die Kleidung des Häflings sind weiß, sondern auch sein Essen: Reis und Joghurt. „Wer das drei Wochen mitmacht, wird verrückt. Man verliert das Gefühl für Raum und Zeit“, sagt Kazem Kardavani, bis vor kurzem Vize-Vorsitzender des iranischen Schriftstellerverbandes.

Vorwand der Justiz für Gandschis Verhaftung war seine Teilnahme an der Berliner Konferenz, doch die entscheidenden Gründe liegen weiter zurück. Der Publizist hatte in Zeitungsartikeln und 1999 in seinem Buch „Die Dunkelkammer der Gespenster“ Vertreter der Teheraner Staatsspitze für die Mordserie an iranischen Intellektuellen im Herbst 1998 verantwortlich gemacht, darunter Exstaatspräsident Rafsandschani und Ali Fallahian, ehemaliger Geheimdienstminister. Hatte er die Beschuldigten damals noch mit Pseudonymen betitelt, nannte er jetzt vor Gericht öffentlich einige Namen. Seine Arbeit bezeichnete Gandschi einmal als „Spiel mit dem Tod.“ Es ist das Spiel vieler iranischer Journalisten.

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