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Mit acht Zylindern an die Spree

Der Einzug der Abgeordneten in das Paul-Löbe-Haus müsste eigentlich unter Orgelklängen und Motorengeheul stattfinden. Sie beziehen ein Kirchenschiff und eine Büromaschine – schön und funktional zugleich. Zudem relativiert der Neubau die Monumentalität des benachbarten Kanzleramtes

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Das Regierungsviertel an der Spree steht derzeit unter visueller Beobachtung, die jene von Video überwachten so genannten „gefährlichen Orten“ in der Stadt um Längen in den Schatten stellt. Radikal ins Bild setzen täglich Tausende von Touristenkameras den Reichstag, die Botschaften oder das Bundeskanzleramt: von unten, seitlich, schräg von oben oder gar von vorn. „Geh mal zur Seite“, lautet der Tagesbefehl der Kameramänner und -frauen, obwohl kein Staatsgast vorfährt, der Kanzler mit Gattin an der italienischen Adria weilt, sein Außenminister und die Abgeordneten sich mehrheitlich in die parlamentarische Sommerpause begeben haben. Im visuellen Visier werden die Bauten scharfen Kontrollen unterzogen. Es geht nicht um „Schnappschüsse“, sondern schließlich um Wichtigeres: Staatspaläste, Baukunst und so.

Seit dieser Woche hat sich die Motivlandschaft am Reichstag um ein weiteres Gebäude vergrößert, ist doch der erste Bürokomplex für die Parlamentarier fertig gestellt und wird bezogen. Zu übersehen ist das Haus ebenso wenig wie das Kanzleramt. Mit 200 Metern Länge, einer Breite von 100 Metern und 23 MeternHöhe erhebt sich das „Paul-Löbe-Haus“ wie ein gestrandeter Tanker am Ufer der Spree zwischen Reichstag und dem Bundeskanzleramt. Wo derzeit Kisten und Mobiliar hineingeschleppt werden und die Mitarbeiter der Abgeordneten etwas pikiert nach Fußabdrücken auf den dunklen Teppichböden fahnden, werden ab dem Spätsommer 822 Büroräume und 21 Sitzungssäle für Bundestagsausschüsse der Nutzung übergeben.

Stephan Braunfels, Münchner Architekt, hat sich mit seinem Entwurf an die städtebaulichen Vorgaben im Regierungsviertel gehalten. Quasi in der Verlängerung des Kanzleramtes entstand als zweiter Bau in dem ostwestlichen „Band des Bundes“ von 1997 bis 2001 ein kammförmiges langes Bauwerk, das die Figur des Regierungssitzes von Axel Schultes (Berlin) gegenüber spiegelt. Aber während der Bau von Schultes in verspielten Formen, grün und weiß gefärbt herüberschaut, hat Braunfels den Parlamentsbau in seiner äußeren Gestalt recht schlicht gestaltet – zu schlicht vielleicht, markiert doch der lange Bau eine einfache geschlossene Kontur aus Glas und grauem Sichtbeton. Diesen will der Architekt jetzt mit einer Lasur ein wenig aufpeppen, wie ein Mitarbeiter der Bundesbaugesellschaft verrät.

Mag sein, dass die gerühmte Bonner Schlichtheit – man denke an die „Kreissparkasse“ Bundeskanzleramt – oder die sklavische Interpretation des „Band des Bundes“ Braunfels veranlasst hat, eine fast schnörkellose rechteckige Form mit quer liegenden Bürotrakten zu entwerfen, die sich wenig von der aktuellen Geschäftshausarchitektur unterscheidet. Zwischen den fünf Büroflügeln liegen jeweils vier offene begrünte Höfe. Nur einmal verweigert sich das Gebäude der Grundfigur ästhetischer Einfachheit. An der Ostseite, über der Spree, bricht eine gläserne Rotunde aus dem Rechteck aus. Mehr Besonderheiten bietet das Paul-Löbe-Haus für Foto-Shootings nicht.

Dass es dem Architekten auf etwas anderes ankam, das ebenfalls die Bonner Republik in die Erinnerung ruft, wird dem Besucher erst beim Betreten des Hauses klar. „Hohe Transparenz und Funktionalität“, so Hans Holter von der Bundestagsverwaltung, sind die eigentlichen Charaktereigenschaften des Paul-Löbe-Hauses, die wunderbar eingelöst werden. So öffnet sich hinter der Glasfassade des Westeingangs eine zentrale haushohe Halle, die wie ein Kirchenschiff anmutet und den Blick 200 Meter bis ans Ende – zur Spree – frei gibt.

Die bauliche Transparenz wird gesteigert durch ein lichtes Rasterdach und gläserne Fassaden auf der Ostseite. Links und rechts der Halle glaubt man sich auf einem Schiffsdeck zu befinden, führen doch zu den sieben Stockwerken freie Treppen, Umgänge und Stege, die die Halle mit den Büros der Abgeordneten und den Sitzungssälen verbinden. Fällt Licht auf die hellen Stege und offenen Geländer, die hellgrauen Betonwände, freien Stützen, Galerien und auskragenden Geschosse, entsteht ein bewegtes Raumspiel, das das Paul-Löbe-Haus zum Schaustück verwandelt.

Das große, helle Mittelschiff mit seinen Erschließungen zu den Bürotrakten ist zweifellos der Höhepunkt des Hauses, zumal der Architekt noch jeweils vier runde Türme wie Zylinder links und rechts der Halle aufgereiht hat. Deren Reihung und offen gestaltete Rundungen schwingen in den großen Raum wie die Röhren einer Maschine.

Mit ihnen verwandelt sich das Haus baulich zum „Arbeitsparlament“, das der Bundestag verkörpert. In diesen acht Zylindern sind alle 21 Ausschusssäle untergebracht, symbolisch rund in der Form und mit gesondert erschlossenen Besuchertribünen „zur Kontrolle“ ausgestattet.

Die „Demokratie als Bauherr“, jene in Bonn geborene Maxime für funktionales und transparentes Bauen wird auch in den Büros fortgeschrieben. Raumhohe Fenster geben den Blick frei auf die Abgeordneten und die Mitarbeiter des Bundes und geben diesen dialektisch zurück auf die theatralische Kulisse des Kanzleramtes und den Reichstag.

Sowohl der Entwurf als auch das Budget von 540 Millionen Mark Baukosten hat keine pompösen Raumausstattungen für die 850 Bundesbeamten und Abgeordneten, die hier arbeiten, zugelassen. Die 19,5 Quadratmeter großen Büros gleichen Arbeitszellen, die Sitzungssäle lassen nur intime Runden zu. Einzig die Rotunde auf der Ostseite hat Braunfels groß inszeniert. Zwei Restaurants, für die Abgeordneten und Beamte im Erdgeschoss und die Besucher in der ersten Etage, geben einen Panoramablick frei auf den Reichstag und den Luisenblock am anderen Spreeufer. Darüber logiert der holzvertäfelte „Europasaal“ des Europa-Ausschusses auf 261 Quadratmetern Fläche, die durch Balkone und Terrassen noch gesteigert wird. Von hier aus streift die Sicht über die Spree, wo einmal im Luisenblock (Marie-Elisabeth-Lüders-Haus) die große Bibilothek und die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages untergebracht sein werden. Ende 2002 sollen diese Bauten und damit der dritte Baustein (von vier) des Bundesbandes fertig gestellt sein.

Ist der Einzug beendet, sind die Büros bezogen und tagen die Ausschüsse, wird mit der Fertigstellung des Paul-Löbe-Hauses noch etwas anderes deutlich. Axel Schultes Kanzleramt auf der gegenüberliegenden Seite war viel gescholten worden angesichts seiner Monumentalität, der ausschweifenden Architektursprache und abgeschotteten Haltung. Durch den Braunfels-Bau relativieren sich jetzt nicht nur die Größe und Höhe des Kanzleramtes, sondern auch die Kritik an dem Kanzler-Würfel. Immer offensichtlicher wird, dass der helle, kunstvoll verspielte und ästhetisch überzeugende Stil neuer bundesdeutscher Staatsarchitektur die so genannte Bonner Schlichtheit, die das Äußere des Braunfels’schen Parlamentsbaus widerspiegelt, in den Schatten stellt.

Und noch etwas: Als Argument für die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses führen deren Verteter immer wieder die gleiche Mär ins Feld, zeitgenössische Architekten könnten mit modernen Baumassen und großen Räumen, wie sie am Schlossplatz vonnöten sind, nur unzulänglich umgehen. Axel Schultes und Stephan Braunfels zeigen die Unzulänglichkeit des Arguments und beweisen, dass es anders geht.

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