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Ein Trio für den guten Zweck

Im Krankenhaus wird Ströbele hingehalten. Vor der Unfallstation stehen Polizisten, ein Durchkommen ist nicht möglich. Es dauert eine Stunde, bis er zu den Verletzten vorgelassen wird

aus Genua JENS KÖNIG

Mit allem hat Ströbele gerechnet: mit Demonstranten, einem Fernsehteam, einem Fahrer der Deutschen Botschaft, nur nicht damit. Als er in Genua landet, kommt ihm auf dem Flughafen die eleganteste Frau von ganz Italien entgegen. Sie trägt ein buntes, halblanges Kleid, schwarze Hackenschuhe, um den Hals eine schwere goldene Kette, am Handgelenk eine goldene Uhr, an den Ohren hängen goldene Ohrclips. Sie sieht aus, als sei sie einem Fellini-Film entsprungen. „Herr Abgeordneter!“, ruft sie und winkt Christian Ströbele fröhlich zu.

Sie wird die nächsten zwei Tage immer „Herr Abgeordneter“ sagen, manchmal auch „Herr Abgeordneter Dr. Ströbele“. Die Dame ist Mitte 50 und korrekt bis in ihre grauen Haarspitzen. Das muss sie auch sein. Sie ist die deutsche Generalkonsulin in Mailand. Frau Uta Mayer-Schalburg. „Mayer mit A und Ypsilon“, sagt sie, als sie sich vorstellt. Sie begleitet den Herrn Abgeordneten Dr. Ströbele zwei Tage durch Genua. Am Mittwochabend wird die Frau Abgeordnete Buntenbach zu ihnen stoßen, die aus Mailand kommt.

Das ist nicht nur eine beklemmende Reise zu den deutschen Globalisierungskritikern, die in Genua im Gefängnis sitzen oder schwer verletzt im Krankenhaus liegen, sondern auch eine heitere Lektion über den kleinen kulturellen Unterschied zwischen zwei linken Bundestagsabgeordneten der Grünen und einer deutschen Spitzendiplomatin. Christian Ströbele und Annelie Buntenbach haben eine politische Mission. Uta Mayer-Schalburg hat einen dienstlichen Auftrag.

Die Abgeordneten wollen den Polizeiüberfall auf das „Genoa Social Forum“ aufklären – die Generalkonsulin schreibt darüber Berichte an das Auswärtige Amt. Die Abgeordneten prangern die Misshandlungen der Demonstranten bei Verhören durch die italienische Polizei an – die Generalkonsulin sorgt dafür, dass die Familien der deutschen Gefangenen benachrichtigt werden. Die Abgeordneten sorgen für Öffentlichkeit – die Generalkonsulin sorgt für Diskretion. Ströbele und Buntenbach sind engagiert, erregt, fassungslos – Mayer-Schalburg ist fleißig, korrekt, gefasst. Und manchmal ein bisschen entrückt.

Auf dem Flughafen in Genua kommen plötzlich fünf junge Leute aus Deutschland auf Ströbele zu. Alle tragen Jeans, T-Shirt und Turnschuhe. Sie sind gerade aus Mailand herübergekommen. Sie haben am Wochenende in Genua gegen den G-8-Gipfel demonstriert, sie haben miterlebt, wie ihre Freunde brutal zusammengeschlagen und anschließend festgenommen worden sind, sie sind am Sonntagnachmittag panikartig aus Genua geflüchtet, weil sie Angst hatten, auch noch verhaftet zu werden. Von Mailand aus haben sie in den letzten Tagen versucht herauszubekommen, wie es ihren Freunden geht, in welchem Gefängnis sie sitzen, wie schwer verletzt sie sind.

Jetzt sind sie nach Genua gekommen, um sie zu besuchen. Sie hoffen auf die Hilfe von Ströbele. Und ein bisschen auf den diplomatischen Schutz der Generalkonsulin. Sie haben immer noch Angst, sich allein durch Genua zu bewegen. „Kinder“, fragt die Frau Konsulin verdutzt, „ist das wirklich so schlimm?“

Ströbele glaubt den jungen Leuten sofort jedes Wort. „Los“, sagt er, „fahrt hinter uns her.“

Im grauen, klimatisierten BMW mit dem Diplomaten-Kennzeichen CC geht’s ins Krankenhaus San Martino. Mayer-Schalburg gibt Ströbele einen ersten Überblick über die Lage. 68 deutsche Gefangene. Alle unter Polizeigewahrsam. Alle vom Konsulat mit Listen von Rechtsanwälten versorgt. „Ich berichte wertfrei“, schickt sie hinterher. Den erschossenen Demonstranten Carlo Giuliani nennt sie „den zu Tode Gekommenen“.

Als Ströbele wissen will, ob es stimme, dass Gefangene bis zu achtzehn Stunden mit erhobenen Händen an der Wand stehen mussten, antwortet die Generalkonsulin knapp, das sei nur ein Gerücht genau wie die Meldungen, dass Polizisten Hitler-Lieder gesungen hätten. „Ich kann es mir aber nicht vorstellen“, fügt sie hinzu. Frau Mayer-Schalburg hat sich gerade, ausnahmsweise mal, eine undiplomatische Meinung geleistet. Aber das hält nicht lange vor. Als der Journalist neben ihr im Auto das mit den Hitler-Liedern notiert, wird sie für einen Moment nervös. „Schreiben Sie das bloß nicht auf“, sagt sie.

„Mit den Hitler-Liedern – das kann schon sein“, sagt Ströbele ganz ruhig. Er hat nicht den Hauch eines Beweises.

Im Krankenhaus wird Ströbele über eine Stunde hingehalten. Vor der Unfallstation stehen mehrere Polizisten. Es ist kein Durchkommen. Plötzlich kommt eine Krankenschwester auf Ströbele zu und berichtet, sie habe in der Nacht des Überfalls auf das „Genoa Social Forum“, also von Sonnabend auf Sonntag, im Krankenhaus Dienst gehabt. Sie habe nur Mitleid mit den jungen Leuten gehabt. Schwer verletzt seien sie gewesen oder grün und blau geschlagen. In allen möglichen Sprachen hätten sie geweint und gewimmert, auf Englisch, Spanisch, Seutsch, Italienisch. Noch auf dem Krankenhausflur seien sie von Polizisten mit Gewehrkolben geschlagen worden. „Es war wie in einem Horrorfilm“, sagt die Krankenschwester.

Die Generalkonsulin übersetzt alles tadellos. Ihr Italienisch ist perfekt. Ströbele gibt, noch bevor er auch nur einen einzigen Verletzten gesehen hat, einem Journalisten von La Repubblica ein Interview. Das, was er höre, erinnere ihn Bilder während der Militärdiktatur in Argentinien, sagt er.

Die Generalkonsulin zieht Ströbele beiseite und flüstert ihm zu, vor kurzem habe ein Politiker in Rom Schwierigkeiten bekommen, weil er gesagt habe, in Italien herrschten Zustände wie in Chile. Ströbele lächelt. Er war RAF-Anwalt. Er hat schon ganz andere Sachen gehört.

Dann wird Ströbele endlich zu den deutschen Gefangenen vorgelassen. Daniel A. liegt in einem kleinen Zimmer auf der Intensivstation. Der 21-jährige Berliner ist durch eine Scheibe von zwei Polizisten getrennt, die Tag und Nacht in seinem Zimmer sitzen und ihn bewachen wie einen Schwerverbrecher. Kein Kontakt zu irgendjemandem, kein Telefon, keine Zeitung. Und das seit drei Tagen.

Daniel A. ist bei dem Überfall auf das „Genoa Social Forum“ schwer verletzt worden und musste am Kopf operiert werden. Er erzählt, die Polizisten hätten ohne Vorwarnung auf alle Demonstranten eingeprügelt, bei den meisten gezielt auf den Kopf, obwohl diese als Beweis ihrer Friedfertigkeit die Arme hochgehoben hätten. Nach dem Überfall sei alles voller Blut gewesen, der Fußboden, die Heizungen, die Türen.

Ströbele wird das von allen anderen Verletzten und Gefangenen so oder so ähnlich immer wieder hören. Er setzt sich zu den jungen Leuten aufs Bett, die Generalkonsulin steht an seiner Seite. Ströbele will von den Gefangenen alles über den Polizeieinsatz wissen, Mayer-Schalburg macht den Verletzten Mut. Nach den beiden Krankenhausbesuchen in Genua kann auch Frau Konsul ihre Erschütterung nicht ganz verbergen. Sie sieht ein wenig mitgenommen aus. Obwohl ihre Frisur immer noch piccobello ist. Mayer-Schalburg schickt ihren Fahrer und ihre Mitarbeiterin mit dem BMW Kekse und Wasser holen.

Aber der Tag ist noch lange nicht zu Ende. Ströbele will noch ins Gefängnis nach Vercelli, 100 Kilometer von Genua entfernt. Dort sitzen zwei junge Frauen aus Deutschland ein. In Vercelli wartet auch Annelie Buntenbach, sie ist von Mailand mit einem Mietwagen dorthin gefahren. Als die Generalkonsulin das hört, kann sie es gar nicht fassen. Die Frau Abgeordnete allein im Mietwagen? In einem fremden Land? Und spricht kein Wort Italienisch?

Als der BMW auf das Gefängnis zurollt, ist Buntenbach mit ihrem roten Fiat nicht zu übersehen. Sie trägt blaue Jeans und ein schwarzes T-Shirt. „Frau Abgeordnete“, ruft Frau Konsul und springt aus dem Auto, „Sie sind eine ganz tolle Frau. In einem Mietwagen ohne Chaffeur allein durch Italien – alle Achtung.“ Buntenbach muss lachen. „Bin ich bescheuert“, sagt sie später, als sie wieder in ihrem Fiatsitzt. „Was soll ich denn mit einem Chauffeur?“

Als Mayer-Schalburg in Vercelli hört, dass die beiden Frauen aus dem Gefängnis bereits entlassen und auf dem Weg nach Mailand sind, scheint sie für einen Moment enttäuscht. Sie hätte die Deutschen wohl selbst gern am Gefängnis in Empfang genommen. Als kleine persönliche Trophäe sozusagen. Der Herr Minister wäre bestimmt begeistert gewesen. „Hauptsache, sie sind frei“, sagt Buntenbach. „Natürlich“, antwortet Mayer-Schalburg. Sie hat wohl gemerkt, wie abwegig ihr erster Gedanke war.

Je länger die beiden Abgeordneten und die Generalkonsulin unterwegs sind, desto größer wird das gegenseitige Verständnis. Und mit jedem freigelassenen Deutschen wächst der Respekt voreinander. Mayer-Schalburg macht sich einmal sogar richtig Sorgen um Ströbele. In der Nacht im Hotel in Genua besorgt sie ihm persönlich noch zwei Crèmes bruleés, weil die Küche schon geschlossen hat. „Herr Abgeordneter, Sie müssen etwas essen“, sagt sie.

Ströbele hat keine Zeit dafür. Er gibt ein Interview nach dem anderen. Er weiß, dass nichts wichtiger ist als Öffentlichkeit, als O-Töne im Radio, als Bilder im Fernsehen.

Am nächsten Nachmittag, kurz vor dem Rückflug nach Berlin, besuchen Ströbele und Buntenbach die Schule „Armando Diaz“, den Tatort des brutalen Polizeiüberfalls. Wieder sind mehrere Fernsehteams gekommen. Ströbele und Buntenbach geben ein Interview nach dem anderen, Mayer-Schalburg übersetzt. Fast scheint es, als genieße die diskrete Diplomatin mittlerweile das Licht der Öffentlichkeit.

Zum Abschluss der Reise umarmt die Frau Abgeordnete Buntenbach die Frau Generalkonsulin. Der Herr Abgeordnete Ströbele bedankt sich bei ihr für die Arbeit. „Ich werde Sie überall loben“, sagt er. Mayer-Schalburg ist gerührt. „Ich habe das gern getan“, sagt sie. „Es war doch für einen guten Zweck.“ Die Generalkonsulin steht in der Abflughalle und winkt.

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