piwik no script img

Ein sorgloser Betrüger?

Aufregung um Sebastian Haffner: Die „FAZ“ gibt den Vorwürfen rund um die Entstehungszeit seiner Manuskripte einen eigenen Dreh – sie reitet eine pauschale Attacke gegen den „linken Außenseiter“

von RUDOLF WALTHER

Die Preisfrage des Sommerrätsels lautet: Wie dürftig darf ein Verdacht begründet sein, um im Sommerloch für Schlagzeilen zu sorgen? Antwort: Wenn die politische Richtung stimmt, ist das Niveau nach unten offen.

Dem emeritierten Dresdner Kunsthistoriker Jürgen Paul war der Riesenerfolg von Sebastian Haffners „Geschichte eines Deutschen“ suspekt. Er vermutete, dass das 1939 geschriebene Buch vom Autor nachträglich „verbessert“ worden sei, und brachte seinen pauschalen Verdacht zu Papier. Das Manuskript schickte er an deutsche Tageszeitungen, die jedoch abwinkten. Paul wollte den Beweis für seinen Verdacht mit philologischen Mitteln antreten, also belegen, dass Haffner 1939 Wörter verwendet habe, die erst später gebräuchlich geworden seien. Selbst bei Hitze gelesen, waren diese Verdachtsmomente zu platt.

Nicht dem Deutschlandradio Berlin, das den Text sendete. Pauls „Belege“ verflüchtigten sich schnell, denn entgegen seiner Behauptung kam sowohl das von Haffner verwendete Wort „Endsieg“ nicht erst unter Hitler im Zweiten Weltkrieg auf, sondern gehörte schon zum Sprachgebrauch der kaiserlichen Generalität nach 1914. Genauso steht es mit dem englischen Ausdruck „business as usual“. Als weiteren „Beweis“ für nachträgliche Manipulation präsentierte Paul Haffners Hinweis auf eine Rolltreppe in Berlin, die 1939 noch nicht existiert habe. Tatsächlich gab es in Berlin seit 1927 eine U-Bahn-Rolltreppe.

Obwohl Pauls Vorwürfe keineswegs überzeugen, erklärten sich die Deutsche Verlags-Anstalt, in der die „Geschichte eines Deutschen“ erschien, und der Sohn Haffners bereit, das Typoskript kriminaltechnisch untersuchen zu lassen. Uwe Soukup, der 1996 Haffners Buch „Germany: Jekyll & Hyde“ (London 1940) erstmals auf Deutsch herausbrachte und von dem im Herbst eine Haffner-Biografie erscheint, hat das Typoskript von Haffners „Geschichte eines Deutschen“ in Händen gehabt und bestätigt das untypische englische Papierformat (19,8 x 25,2 Zentimeter) sowie die Tatsache, dass die Kopie kaum Korrekturen enthält. Eine „Verbesserung“ des Textes nach 1939 ist unwahrscheinlich.

Die Geschichte des Typoskripts ist skurril. Haffner ließ es einfach liegen und veröffentlichte erst 1983 einen kleinen Teil daraus im Stern. Auf die nahe liegende Frage, warum ein erfolgreicher Autor wie Haffner einen Text „verbessert“, aber dann über Jahrzehnte liegen gelassen haben sollte, gibt es keine Antwort außer der Vermutung, es handle sich bei ihm um den seltenen Typus des „sorglosen Betrügers“ (Soukup), der aber Haffner von seinem Naturell her sicherlich nicht war.

Selbst das Niveau von Pauls Attacke ist zu unterbieten. Den Beweis trat der Berliner Historiker Henning Köhler an, und zwar in der auf Rechtsgestricktes spezialisierten FAZ-Seite „Die Gegenwart“ vom 16. August. Mit philologischen Feinheiten befasst sich Köhler nicht. Sein Text bündelt das Repertoire an Ressentiments, die deutsche Konservative schon immer gegen Haffner hegten. Dessen Kritik an den deutschen Zumutungen, vom Verhalten der sozialdemokratischen Führung 1918, als sich diese an die Freikorps auslieferte, über die Verwandlung von Liberalen und Konservativen in dumpfe Deutschnationale bis hin zur Übergabe der Macht an die NSDAP, verzieh man dem ehemaligen Exilanten nicht. Gegen die verschieden interpretierbaren, aber nicht zu bestreitenden Thesen Haffners hält Köhler zwar jede Menge Noten („egozentrisch“, „fragwürdig“) bereit, aber nur ein Argument, und das nährt sich aus dem Neid des akademischen Adenauer-Biografen auf den erfolgreichen Autor Haffner: „Kritik an den Deutschen verkauft sich derzeit gut.“

In seinem Eifer dehnt Köhler den Verdacht nachträglicher Manipulation sogar auf Haffners Urteil über die Novemberrevolution aus und unterstellt, es stamme erst aus der „Apo-Zeit“. „1939 wusste er [Haffner] mit Sicherheit nicht viel von der politischen Konstellation des Winters 1918/19, der Umsturz von 1918 war längst vergessen.“ Der Historiker Köhler hätte die Dimension von Haffners Gedächtnis überprüfen können. Schon im 1940 erschienenen Buch „Germany: Jekyll & Hyde“ ermahnte Haffner die SPD, die „schändlichen Erinnerungen“ an 1918 nicht zu verdrängen. Sein Urteil über die SPD-Führungsriege und die Novemberrevolution: „Der 24. Dezember 1918, an dem die ‚Volksbeauftragten‘ der Sozialdemokratischen Partei zum ersten Mal das Freikorps gegen das eigene Volk einsetzten, ist das Datum, welches das klägliche Scheitern der sozialdemokratischen ‚Revolution‘ von 1918 markiert.“

Nicht allein Köhlers Verdacht, dieses historisch stichfeste Argument stamme erst aus der „Apo-Zeit“, verweist auf das Gravitationszentrum der Debatte. Man sollte nicht gleich eine Kampagne wittern. Ob es dem Zufall oder Choreografen zu verdanken ist, dass die NZZ schon vor einem Monat – am 13. Juli – einen Artikel druckte, in dem Heribert Seifert „Sebastian Haffners Kurzschlüsse“ abkanzelt, ist unerheblich. Seifert zitiert zwar nur aus drei von Haffners Stern-Kolumnen, aber zielt auf das ganze linke „Milieu“. Haffner war um 1968 herum wie viele linke Intellektuelle schnell bei der Hand mit der „Faschismuskeule“ und mit verdunkelnden Systemvergleichen bis hin zur Gleichsetzung der brutalen Berliner Polizeieinsätze gegen Studenten mit dem „Nazi-Terror“ oder der Hugenberg- mit der Springer-Presse.

Diese situativ erklärbare, aber verfehlte Rhetorik wurde seit Ende der 70er-Jahre von politisch zurechnungsfähigen linken Intellektuellen außerhalb von RAF und kommunistischen Sekten selbstkritisch reflektiert und fortan vermieden. Deshalb geht der Vorwurf Seiferts ins Leere, „jedes aktuelle Ereignis“ erscheine bei „Linken“ und „manchen Liberalen“ immer „nur als ein Wiedergänger des Alten“. „Die Instrumentalisierung des Faschismus-Vorwurfs für aktuelle Zwecke“ hat es bei Haffner wie bei anderen gegeben. Dass der Vorwurf „seit jener Zeit“ nicht verschwunden sei, ist absurd.

Bei der FAZ hat man den peinlichen Verlauf der vom eigenen Lokalteil losgetretenen Debatte um die Vergangenheit Joschka Fischers und die Studentenbewegung noch nicht vergessen. Dem Vernehmen nach suchen die Frankfurter einen Autor, der die Attacke auf Haffner – den „linken Außenseiter“ (Köhler) – liberal zurechtbiegt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen