: Schäuble will mehr Macht für die Regierung
Der Bundestag soll nicht mehr über Auslandseinsätze der Armee abstimmen, sagt der CDU-Politiker. Und kündigt damit einen Konsens auf
BERLIN taz ■ Der innenpolitische Konsens hielt nur sieben Jahre. 1994 hatte Das Bundesverfassungsgericht bestimmt, dass die Bundeswehr an Auslandseinsätzen im Rahmen von UN- und Nato-Aktionen teilnehmen darf – aber nur, wenn der Bundestag vorher zustimmt. Jetzt wollen namhafte CDU-Politiker wie Wolfgang Schäuble und Karl Lamers diesen Verfassungskompromiss aufgeben und auf die Vorabzustimmung des Bundestages verzichten.
Die Entscheidung des Gerichts hatte 1994 den jahrelangen Streit beendet, ob sich Deutschland an Einsätzen außerhalb des Nato-Bündnisgebiets („out of area“) beteiligen darf. Lange Zeit war es Regierungsposition, dass das Grundgesetz solche Einsätze verbiete. Da sich Union und SPD jedoch nicht über die Details einer Grundgesetzänderung einigen konnten, preschte die Bundesregierung Anfang der 90er eigenmächtig vor. Sie beteiligte die Bundeswehr an der Awacs-Luftaufklärung über Jugoslawien sowie der Friedenssicherung in Somalia und ließ SPD und Regierungspartner FDP dagegen klagen.
Das dreiste Manöver hatte sich gelohnt. Karlsruhe entschied alle Streitfragen im Sinne der Regierung: Für Auslandseinsätze der Bundeswehr sei eine Grundgesetzänderung nicht erforderlich. Sie brauche nicht einmal ein UNO-Mandat an, eine Nato-Aktion als Rahmen sei genauso ausreichend. Einziges Zugeständnis der Richter an die skeptische Öffentlichkeit: Für Auslandseinsätze sei ein zustimmender Beschluss des Bundestags erforderlich.
Eine verfassungsrechtlich umstrittene Entscheidung. Denn im Grundgesetz fand sich keine Bestimmung, die für alle Militäreinsätze eine Zustimmung des Bundestags erforderte. Der einzige Artikel, der sich so deuten ließ, war 1968 gestrichen worden. Deshalb musste sich das Verfassungsgericht auf eine deutsche „Verfassungstradition“ berufen, um nun selbst einen Parlamentsvorbehalt anzuordnen. Unter dem Grundgesetz sei die Bundeswehr, so hieß es, ein „Parlamentsheer“, das sich in die „demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung“ einfüge.
Die „Handlungsfähigkeit“ der Bundesregierung blieb dabei aber im Blick. Bei „Gefahr im Verzug“ kann ein Militäreinsatz auch ohne vorherige Parlamentszustimmung angeordnet werden. Der Bundestag kann bei einer „umgehend“ einberaumten Sitzung den Truppeneinsatz notfalls stoppen.
Wenn nun der Parlamentsvorbehalt wieder entfallen soll, so müsste in das Grundgesetz eine neue Vorschrift eingefügt werden, die der Bundesregierung ausdrücklich die Entscheidung über Truppen-Entsendungen zuweist.
Für eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat würde zwar eine Zusammenarbeit von Union und SPD genügen. Für die rot-grüne Regierung wäre dies aber eine schwere Belastungsprobe. Immerhin diskutieren die Grünen gerade über eine ganz andere Verfassungsänderung: Statt mit einfacher Mehrheit soll der Bundestag über Auslandseinsätze künftig mit Zweidrittelmehrheit entscheiden.
CHRISTIAN RATH
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