: Pausbäckchen-Geheimnis
Mit deftiger Selbstironie gewährt eine offenherzige Renée Zellweger in Sharon Maguires Komödie „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“ Einblick in die Abgründe des Single-Daseins. Ein Porträt
von ANKE LEWEKE
Unnahbar, unergründlich, unerreichbar – mit den unendlichen „un“s, die gemeinhin das Phänomen der Leinwandgöttin umschreiben, hat Renée Zellweger wenig am Hut. Hier hat man mit einer Schauspielerin zu tun, die exakt den anderen Weg geht und mit ihrem Mienenspiel auch gleich allen Gefühlen freien Lauf lässt. Weil das Seelenleben von Zellwegers Figuren permanent auf Trab gehalten wird, ist auch ihre Mimik stets auf hochtourig geschaltet.
Im Laufe von nur knapp einem dutzend Filmen hat das aus Texas stammende Persönchen eine regelrechte Kunst der Asynchronität entwickelt, um die Vielschichtigkeit innerster Gemütsregungen zum Vorschein zu bringen. Zum Beispiel in der klamottigen Komödie „Der Junggeselle“ mit einem heiratsunwilligen Chris O’Donnell in der Titelrolle: Während der Mund vor Freude über den Heiratsantrag noch geöffnet ist, kräuselt sich die Stirn über die Art seiner saloppen Darbietung nachdenklich und die sich verengenden Augen künden bereits Verärgerung an. Gegen Ende werden die Zeichen dann verschoben, da wird noch ungläubig geschaut, wohingegen der Kopf schon in die kussbereite Neigeposition gebracht wird.
Ein Gesicht, das Bände spricht. Oder Offenherzigkeit im wortwörtlichen Sinn: Selbst in der dumpfbackigen Splatterepigonenfeier „Texas Chainsawmassacre – Die Rückkehr“ gelingt es Zellweger, eine nickelbebrillte Jungfrau so zu spielen, dass man meint, ihr durch das weiße Abschlusskleid in jede einzelne Herzkammer blicken zu können.
In Cameron Crowes „Jerry Maguire – Spiel des Lebens“ offenbart sie während einer Fahrt vom 50. Stock ins Erdgeschoss, wie schnell es um eine Frau geschehen ist. Zellweger spielt eine Sekretärin, die mit dem neuen und gut aussehendem Chef (Tom Cruise) und einem munter vor sich hin knutschenden Pärchen in den Aufzug steigt. Ein halb verstohlener, halb zufriedener Blick nimmt die weitere Handlung vorweg.
Dass das eindeutige Spiel bei Zellweger nie in Langeweile abdriftet, hat damit zu tun, dass die frappierende Ehrlichkeit und der unverhohlene Umgang mit den eigenen Gefühlen immer auch Thema der Filme ist. In ihrem neuesten, „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“, sind diese Eigenschaften sozusagen Antriebsfeder der Geschichte, handelt es sich doch um die Verfilmung eines Tagebuchromans – Helen Fieldings Bestseller „Bridget Jones’s Diary“.
Mit deftiger Selbstironie in der Stimme reflektiert Zellwegers Titelheldin das Single-Dasein, plaudert aus dem Off über überflüssige Pfunde, dreckige Unterhosen und verkappte Affären mit Neurotikern, Workaholics oder Festliierten. Freimütig gewährt Jones den Blick in rosarote Träume, verschimmelte Kühlschränke und ungemachte Betten. Der komödiantisch-schwungvolle Tonfall des filmischen Tagebuchs hält uns und die Schreiberin bei Laune: Jones, ein Stehaufmännchen, das den Frust lautstark und herrlich falsch zu Popsongs wie „I can’t live without you“ herausschreit.
Für die Rolle des lonesome girl aus London hat Zellweger de-Niro-artige Recherche betrieben. Wochenlang im Großraumbüro eines Verlags gearbeitet, um in die Alltagsatmosphäre ihrer Heldin einzutauchen. Mittels intensiven Sprachtrainings hat sich die Schauspielerin den texanischen Knatsch-Akzent austreiben lassen, heisert jetzt im perfekten London-Slang herum, einer kruden Mischung aus Arbeitersprache mit wohl erzogenem Hintergrund. Wie man in zahlreichen Interviews nachlesen kann, müssen die sonstigen Vorbereitungen das reinste sinnliche Vergnügen gewesen sein. Um auf die leicht speckigen Maße von Jones zu kommen, hat sich die zarte Zellweger durch Restaurants aller Arten und Klassen gefuttert.
Vielleicht sind es denn auch ihre Pausbäckchen, die Bridget Jones vor der Karikatur des Single-Daseins bewahren. Noch fülliger als sonst, erzählen sie von der ganz banalen Sehnsucht nach Streicheleinheiten und füllen die Klischees um einsame Dreißigjährige mit ein bisschen Wahrheit auf. Wenn die pummeligen Backen während eines Dates mit Traummann Daniel Cleaver (Hugh Grant) vor Aufregung zu glühen beginnen, dann steigt auch beim Zuschauer ein Gefühl der Glückseligkeit auf.
In der kohlrabenschwarzen Komödie „Nurse Betty“ erinnern Zellwegers Wangen fast schon an Leuchtbojen, so neu und aufregend ist alles. Hier kreiert sie über die Offenherzigkeit und Ehrlichket ihrer Filmfigur ein naiv-wundersames Landei, das in Hollywood landet und die Traumfabrik wirklich werden lässt. Man muss nur wie Zellwegers Kellnerin Betty lange genug Arztserien sehen, um ohne Ausbildung das Krankenschwesterhäubchen aufzuziehen und sich den Chefarzt zu angeln.
Im wahren Leben hat Renée Zellweger erst mal einen weiten Bogen um Hollywood geschlagen, sich mit allerlei Splattertrash made in Houston wie „Texas Chainsawmassacre – Die Rückkehr“, „Mein Freund, der Zombie“ oder „Love & A.45“, dem 100sten Rip-off von „Natural Born Killers“, über Wasser gehalten. Als Übung in Sachen ehrlich-naiver Haut lässt sich die Horrorphase umschreiben, wobei Zellweger die einfältigen Figuren durchaus mit umwerfenden Facetten versieht. Mal mit einer 45er Magnum, mal mit einer entwaffnenden Aufrichtigkeit. Letztere wird in den Hollywoodproduktionen zu ihrer stärksten Waffe und bringt so manches Alpha-Männchen wie Tom Cruise oder Hugh Grant zu Fall.
Auch wenn die Drehbücher von „Der Junggeselle“, „Jerry Maguire – Spiel des Lebens“ oder „Bridget Jones“ Zellwegers Rollen letztlich auf den passiven, abwartenden Part (liebt er mich, liebt er mich nicht?) reduzieren, hat sie immer diesen einen würdevollen Auftritt. Denn das mit den Gefühlen-eins-Sein gibt Zellwegers Heldinnen eine Sicherheit, die zu unerwartet strengen Ansprüchen führt. Ein von Chris O’Donnell mit den Worten überreichter Ring: „Okay, du hast gewonnen“, wird dementsprechend im hohen Bogen abgeschmettert.
Ob es sich nun um ungeschliffene Heiratsanträge, egozentrische Gegenüber oder perfide Drehbucheinlagen handelt, stets muss die schmächtige Zellweger wahrhafte Torturen durchleiden. Auch die Regisseurin von „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“, Sharon Maguire, haut ihre Titelheldin mit derben Kalauern immer wieder in die Pfanne. Wie Renée Zellweger es dennoch schafft, dass man nie über sie, sondern stets mit ihr lacht, das bleibt ihr unergründliches Pausbäckchen-Geheimnis.
„Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“. Regie: Sharon Maguire. Mit Renée Zellweger, Hugh Grant, Colin Firth u. a., USA 2001, 97 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen