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„Brauchst du den Geländewagen?“

Wie will Angelika Zahrnt (57) leben? Die studierte Volkswirtin und Vorsitzende des BUND kritisiert den blinden Wachstumsglauben und wünscht sich, dass die Umweltbewegung der Spaßgesellschaft entgegenwirken kann, ohne dabei den Menschen den Spaß zu rauben

Interview NICK REIMER

taz: Frau Zahrnt, wie stark ist die Umweltbewegung heute noch?

Angelika Zahrnt: Wenn sie die Kraft der Umweltbewegung an der Fähigkeit messen wollen, Großdemonstrationen zu organisieren, dann hat die Kraft der Bewegung – ihre Bindungswirkung – nachgelassen. Ich bezweifle, ob bei einem Aufruf, etwa zur Demo gegen den Atomkonsens, 10.000 Menschen zusammenkommen würden.

Klingt nicht sehr optimistisch.

Das ist nur die eine Seite. Wenn sie die Kraft der Umweltbewegung jedoch daran messen, ob es gelingt, Dinge anzustoßen oder zu verhindern, dann glaube ich, dass die Umweltbewegung durchaus kraftvoll ist. Nicht nur das: Diese Kraft ist professioneller und vielseitiger geworden. Nehmen sie den Transrapid. Uns ist es gelungen aufzuzeigen, dass die Berechnungen der Bahn illusorisch waren. Wir haben Alternativkonzepte erarbeitet. Und hatten letztlich Erfolg.

Also Rechnen statt Demonstrieren?

Die eine Stärke der Bewegung ist heute, solche Planungen profund gegenzurechnen und sachkundig zu hinterfragen. Die andere Stärke ist, diese Erkenntnisse so zu transportieren, dass das Problem von einer breiten Öffentlichkeit diskutiert wird. Dazu gehören auch phantasievolle Demonstrationen.

Nicht mehr fundamentale, sondern konstruktive Opposition.

Ja, die Akzente haben sich deutlich verlagert. Vor fünfzehn, zwanzig Jahren stand das Anprangern von Umweltsünden im Vordergrund. Heute geht es deutlich mehr um die Gestaltung der Umwelt. Egal, ob bei Bebauungsplänen, Verkehrskonzepten, Verträglichkeitsprüfungen. Die Umweltbewegung hat erreicht, dass Entscheidungsträger heute stärker bereit sind, ökologische Aspekte zu integrieren.

Ökologische Akzente in Bebauungsplänen durchzusetzen ist ja schön und gut. Hat die Bewegung keinen umfassenderen Anspruch mehr?

Die zentrale Frage ist, wie wir von dem derzeitigen kurzfristigen Denken zu einem nachhaltigen Denken und Handeln kommen. Für mich ist die Kernfrage: Wie können wir heute in unsere Entscheidungen die künftigen Generationen und die Dritte Welt einbeziehen?

Ist die Umweltbewegung überhaupt in der Lage, einem solchen gesellschaftskritischen Ansatz zu genügen?

Ich glaube, die Umweltbewegung hat das notwendige gesellschaftsphilosophische Nachdenken über Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit überhaupt erst angeschoben.

Sie hat also das neue, bessere Gesellschaftskonzept?

Wer von der Umweltbewegung erwartet, sie soll umfassende und detaillierte gesellschaftliche Alternativkonzepte entwickeln, der überfordert sie. Unsere Aufgabe ist, auf Zusammenhänge zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Fragen hinzuweisen.

Das heißt?

Zum Beispiel: Wo immer ein Industrieunternehmen wegen Umweltbelastungen Probleme hat, kommt sofort das Arbeitsplatzargument. Das Werk zu schließen kostet soundso viele Arbeitsplätze, heißt es dann. Umweltinvestitionen belasten die Bilanz. Die Umweltbewegung muss da gegenhalten. Sie muss vorrechnen, wie viele Arbeitsplätze bei neuen Produkten und Dienstleistungen im Umweltbereich, beim Ökolandbau entstehen können. Andererseits müssen wir immer wieder fragen: Kann es das Ziel der Gesellschaft sein, möglichst viele Produkte und Dienstleistungen zu erstellen – oder geht es nicht auch um die gerechtere Verteilung der Güter?

Sie stellen den Kapitalismus als Gesellschaftsform in Frage?

Ich stelle nicht das Privateigentum in Frage. Aber ich zweifle an, dass eine kapitalistische Gesellschaft, die auf ein permanentes Wachstum des Bruttosozialproduktes ausgerichtet ist, die notwendige Verringerung des Ressourcenverbrauches hinbekommt.

Was wäre die Lösung?

Der Marktwirtschaft einen sozial-ökologischen Ordnungsrahmen zu geben und gleichzeitig die Dominanz des Marktes zurückzudrängen. Man muss die alte Frage nach dem „guten Leben“ stellen – und dabei die ökologischen Grenzen berücksichtigen. Man muss bei den Bedürfnissen der Menschen ansetzen und aufzeigen, wie es sich bequem und warm in einem energieeffizienten Haus leben lässt, wie wohlschmeckend gesunde Ernährung mit ökologischen Produkten sein kann, wie erlebnisreich ein Fahrradurlaub ist. Das macht die Wirtschaft genauso. Auch sie sagt dem Menschen durch ihre Werbung, wie er gefälligst seine Bedürfnisse entwickeln soll, damit sie – die Wirtschaft – verkaufen kann, Profit erzielt, funktioniert.

Umweltwerbung statt Bewegung?

Wir fordern mit Leitbildern zum Nachdenken auf. Die Menschen sollen sich überlegen: Wie viel von diesem ganzen Konsumrausch brauchst du wirklich? Befriedigt dich ein Job, der dich zehn Stunden beansprucht? Würden nicht auch sechs Stunden ausreichen? Kann mehr Zeit, die man seinen Kindern widmet, nicht mehr Erfüllung bringen als der Kauf des neuesten Geländewagens? Das ist durchaus ein kapitalismus- und wachstumskritischer Ansatz.

Wobei sich die Leute zur Zeit viel eher für den Geländewagen interessieren dürften als für ein Ehrenamt. Was können Sie da machen?

Wir müssen diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen. Wesentlich ist aber, dass wir sie in unsere Arbeit aufnehmen. Umweltbewegung muss sich beispielsweise den Wellness-Trend zunutze machen. Das Bedürfnis der Menschen nach Gesundheit lässt sich sehr gut etwa in die Diskussion über ökologischen Landbau aufnehmen. Die Ökotomate ist nicht nur gesünder, sie schmeckt auch besser. Ökobewegung muss versuchen, Lifestyle mitzuprägen. Natürlich ist Ökolandbau fürs Klima gut. Es ist aber besser, mit Lebensfreude zu argumentieren, als mit dem Zeigefinger.

Viele Umweltprobleme, zum Beispiel die Klimaveränderung, liegen nicht in unserem Einflussbereich. Kann man die Deutschen für globale Probleme interessieren?

Das geht. Es stimmt einfach nicht, dass die Leute ihre Ohren zusperren, wenn es um eine Spendenaktion zu Gunsten der Flutopfer in Mosambik geht. Wir müssen an dieser Bereitschaft ansetzen, müssen vermitteln, dass die beste Katastrophenhilfe nicht aus dem geöffneten Portemonnaie kommt, sondern durch weniger Autofahren, effizientere Wärmedämmung und weniger Ressourcenverbrauch hinzubekommen ist.

Was heißt Globalisierung für die Struktur der Umweltbewegung?

Das heißt zum Beispiel: Das Thema Wasser darf nicht nur die Probleme hier in Deutschland umfassen, sondern auch die Staudammprojekte in Indien. Vermitteln können wir diese wiederum nur, wenn wir die internationalen Kontakte pflegen und Informationen unserer Partner nutzen. Und natürlich haben die indischen Aktivisten auch ein Interesse daran. Wenn bei ihnen zu Hause der Staudamm gebaut werden soll, können sie sich auf uns verlassen: Wir gehen hier zu Bundestagsabgeordneten und machen Druck, dass bestimmte Kredite eben nicht vergeben werden.

Klassische Lobbyarbeit also.

Ja, und ich denke, diese Lobbyarbeit muss deutlich stärker werden, auch als Gegengewicht zu der massiven Wirtschaftslobby.

Wie soll das gelingen?

Das ist davon abhängig, wie die Umweltbewegungen wachsen, ob Ressourcen da sind. Ich unterscheide in Lobbyarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Projektarbeit. Ein Politiker wird nur dann ein offenes Ohr für ein Problem oder eine gute Idee habe, wenn das Thema eine Rolle in der Öffentlichkeit spielt. Und wer nur Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit macht, aber selbst keine Projekte, der verliert bei den Menschen leicht die Bodenhaftung und Glaubwürdigkeit.

Wohin geht die Umweltbewegung?

Unsere Strukturen sind derzeit darauf ausgelegt, dass Menschen zu uns kommen, die sich langfristig engagieren wollen. Wir brauchen aber sehr viel stärker eine Offenheit für diejenigen, die weniger langfristiges Engagement suchen, denen Vereinsstrukturen egal sind. Wir sind noch in der Phase des Experimentierens, es gibt erste Pilotprojekte – so genannte Freiwilligen-Agenturen etwa. Mal sehen, was da raus kommt.

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