: Lipobay wirkt weiter
Ministerin Schmidt widerspricht sich. Datenschutzrechtliche Bedenken gegen elektronischen Arzneimittelpass. Bayer senkt seine Dividende
von CONSTANTIN VOGT
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sogt mit ihren Aussagen für Verwirrung: Erst am Donnerstag hatte sie dem Bayer-Konzern mangelhafte Informationspolitik im Zusammenhang mit der Rücknahme des Medikaments Lipobay vorgeworfen. Gestern legte sie den Rückwärtsgang ein: Die Ministerin bescheinigte dem Pharmariesen, „nicht fahrlässig“ gehandelt zu haben, weil Bayer „aufgrund von Erkenntnissen“ das Medikament gestoppt habe. Wie es zu dem plötzlichen Sinneswandel kam, wollten oder konnten Ministeriumssprecher nicht erklären. Sie wiesen lediglich darauf hin, dass Bayer das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte früher hätte informieren müssen.
Bayer hatte zunächst die EU-Behörden über mögliche Gefahren des Cholesterinsenkers Lipobay in Kenntniss gesetzt. Ministerin Schmidt betonte, dass bereits im Juni oder Juli das Bundesamt hätte aktiv werden können – bei rechtzeitiger Information. Ob die deutschen Behörden überhaupt informiert werden müssen, ist unklar. „Wir sind hier im Rechtsstreit mit der EU“, sagte Schmidt. Nach ihrer Auffassung gilt nicht nur EU-Recht, sondern auch deutsches Recht. Und die deutschen Bestimmungen würden vorschreiben, dass die Gefahrenstudien auch an das zuständige Bundesamt weitergeleitet werden.
Bayer wehrt sich gegen die Vorwürfe aus dem Gesundheitsministerium: Man habe sich an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten und die Behörden korrekt informiert.
Mehr als 50 Todesfälle werden weltweit mit dem Medikament in Verbindung gebracht. Bayer hatte Lipobay am 8. August freiwillig vom Markt genommen. Dabei waren Mängel in der Erkennung und Dokumentation von Nebenwirkungen offen zutage getreten. Sogar die Arzneimittelhersteller fordern inzwischen ein besseres Frühwarnsystem für Nebenwirkungen: „Es muss zügig eine europaweite Datenbank eingerichtet werden“, sagte Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller. „Nationale Alleingänge können nur wenig bewirken“, sagte sie. Gleichzeitig wies Yzer darauf hin, dass es den hohen Nutzen von Cholesterinsenkern wie Lipobay nicht ohne Risiken geben könne. Derweil meldeten Verbraucherschützer in Spanien den siebten Lipobay-Toten.
Streit gibt es auch um das jüngste Projekt der Gesundheitsministerin. Als Antwort auf den Lipobay-Skandal möchte Ministerin Schmidt einen elektronischen Arzneimittelpass einführen. Der Bundesbeauftrage für Datenschutz, Joachim Jacob, lehnte die Einführung der Chipkarte ab. „Die Speicherung von Patientendaten würde dem Einzelnen mehr schaden als nützen“, sagte Jacob der Berliner Zeitung. Schmidt verteidigte das System gegen die Bedenken: „Das sind technische Probleme, die gelöst werden können.“ Auch Bankgeschäfte würden schließlich per Chipkarte erledigt.
Die Gesamtkosten der Rücknahmeaktion von Lipobay sind inzwischen auf 1,6 Milliarden Mark gestiegen. Der Verkaufsstopp in Japan belastet das operative Ergebnis des Konzerns zudem mit 300 Millionen Mark. Als Konsequenz muss Bayer erstmals seit 1993 die Dividende senken, berichtete die Financial Times Deutschland. Bei der jüngsten Ausschüttung hatten die Aktionäre im Mai eine Nettodividende von 2,80 Mark pro Aktie für das Geschäftsjahr 2000 erhalten. Seit Beginn der Krise hat das Papier des Pharmariesen um 25 Prozent nachgegeben, der Börsenwert des Unternehmens fiel um 16 Milliarden Mark.
„Kritische Aktionäre“ von Bayer kündigten an, sie wollten das Verhalten der Konzernspitze in der Lipobay-Affäre auf der nächsten Hauptversammlung zur Sprache bringen. Mehrere Geschädigte wollten den Aktionären die Probleme mit dem Medikament schildern und bei der Hauptversammlung im kommenden Frühjahr die Nichtentlastung des Vorstands fordern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen