ES GIBT GUTE GRÜNDE GEGEN EINEN NATO-EINSATZ – TROTZDEM IST ER NÖTIG
: Ein schlechtes Gewissen reicht nicht

Als es in Deutschland noch eine Opposition gab, wurde schon bei erheblich geringfügigeren Anlässen als dem drohenden Verlust der parlamentarischen Mehrheit von einer Regierungskrise gesprochen. Aber derzeit gibt es ja keine Opposition. Die FDP hat zu ihrer traditionellen Rolle als Mädchen für alles zurückgefunden, ist also ganz bei sich, und die Unionsparteien sind offenkundig nicht ganz bei sich. Deren faszinierender Eiertanz lässt die Frage in den Hintergrund treten, ob die Koalition denn nun eigentlich aus eigener Kraft die deutsche Beteiligung am Nato-Einsatz in Mazedonien beschließen könnte. Mit den Motiven der Abweichler in den Reihen von SPD und Grünen setzt sich ohnehin kaum noch jemand auseinander. Warum auch? Die Mehrheit ist doch gesichert.

Diese überhebliche Arroganz gegenüber Dissidenten ist wenigstens konsequent. Auch bei vorangegangenen Abstimmungen über internationale Militäreinsätze wurde ihnen nur so lange scheinbares Interesse entgegengebracht, wie sie gebraucht wurden. War die Sache erst gelaufen, dann galten alle Wünsche nach weiteren Diskussionen als rückwärts gewandt und rechthaberisch. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist die Art und Weise, in der SPD-Fraktionsvize Gernot Erler in den letzten Monaten all jene abgebürstet hat, die es wagten, Zweifel an der Informationspolitik der Bundesregierung im Kosovokrieg zu äußern. Nun soll ausgerechnet er die Dissidenten auf Linie bringen.

Vielleicht zeigt ja ein zarter Hinweis auf die Vergabe von Listenplätzen im Wahljahr bei manchen der Hinterbänkler die gewünschte Wirkung. Das Grundproblem aber lässt sich damit nicht lösen. Gegenüber der Bevölkerung ist diese Taktik der Einschüchterung nicht anzuwenden, und niemals zuvor stieß ein internationaler Einsatz der Bundeswehr bei einem so großen Teil der Wähler auf vergleichbar große Skepsis. Woran liegt das? Das ist die wirklich interessante Frage.

Die Tatsache, dass sich Gegner und Befürworter des Militäreinsatzes in ihrer Einschätzung erstaunlich einig sind, liefert nur eine Teilantwort. Gewiss: Beide Seiten halten das Mandat nicht für hinreichend und allzu viele Fragen für ungeklärt. Niemand leugnet die Gefahr, dass ein längeres Verbleiben der Nato in Mazedonien dem Wunsch der UÇK nach einer faktischen Teilung des Landes dienlich sein könnte. Andererseits bestreitet aber auch niemand, dass ein schneller Abzug genau jenen Krieg wieder entbrennen ließe. Der Misserfolg scheint vorprogrammiert.

Das allein erklärt die weit verbereitete Ablehnung der Operation jedoch nicht. Denn ein wichtiges Argument spricht für die Aktion: Gegen deren Ziel lässt sich nichts, aber auch gar nichts, einwenden. Das unterscheidet eine Entwaffung von Luftangriffen. Wer Bomben wirft, will zerstören und nimmt Todesopfer zumindest billigend in Kauf. Solche Aktionen mögen unvermeidlich sein, wie beispielsweise im Kampf der Alliierten gegen Nazi-Deutschland. Dennoch müssen sich die Verantwortlichen am Ende, wenn schon keinem anderen, so doch dem Urteil der Geschichtsschreiber unterwerfen, ob denn ihr Zweck die Mittel geheiligt hat. Im Falle der Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien wird diese Frage immer häufiger verneint.

Wer hingegen Waffen einsammelt, der unternimmt zumindest den Versuch, Schwerter zu Pflugscharen zu schmieden. Das mag scheitern – aber es lässt sich nicht schon um seiner selbst willen verurteilen. Noch vor wenigen Jahren wäre Widerstand gegen eine Entwaffung schwer vorstellbar gewesen. Wie konnte es dahin kommen, dass eine solche Operation heute in den Verdacht einer aggressiven Handlung gerät?

Ohne den Glaubwürdigkeitsverlust der Nato, der Bundesregierung und der politischen Klasse insgesamt lässt sich diese Entwicklung nicht erklären. Wer jede Diskussion über eigene Fehler verweigert, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm niemand mehr vertraut. Vieles spricht dafür, dass manche derjenigen, die heute gegen den Einsatz in Mazedonien sind, damit vor allem ihre Reue darüber ausdrücken wollen, seinerzeit nicht gegen den Kosovokrieg gestimmt zu haben. Verständlicherweise. Ein anderes Ventil steht derzeit nicht zur Verfügung. Fair ist diese Haltung dennoch nicht. Die mazedonische Bevölkerung darf nicht allein deshalb einem Krieg wehrlos ausgeliefert werden, weil manche Politiker und auch manche Bürger ein schlechtes Gewissen haben. BETTINA GAUS