: Konjunktur für Auftragskiller
In Brasiliens Nordosten und in Amazonien schlägt die Oligarchie zurück. Durch politische Morde soll der soziale Widerstand gegen Landraub und Korruption geschwächt werden
SÃO PAULO taz ■ Die Angst geht um in Altamira. „Es zirkuliert eine Todesliste, auf der bekannte Aktivisten der sozialen Bewegungen bis hin zu linken Landespolitikern stehen“, sagt Airton Faleiro. Und kürzlich sei das örtliche Gewerkschaftsbüro durchwühlt worden, berichtet das Vorstandsmitglied der brasilianischen Landarbeitergewerkschaft Contag nach seiner Rückkehr aus der Stadt im Zentrum des Amazonas-Bundesstaats Pará. Vor zehn Tagen war dort der 36-jährige Ademir Alfeu Federicci in seinem Haus erschossen worden.
Der profilierte Gewerkschafter und Staudammgegner war Koordinator der „Bewegung für die Entwicklung der Region an der Transamazônica/Xingu“ (MDTX), einem Zusammenschluss von 113 regierungsunabhängigen Organisationen. Er hatte die Veruntreuung von Regierungsgeldern des Entwicklungsprogramms Sudam bekannt gemacht und wurde so zu einem wichtigen Zeugen bei den Ermittlungen der Bundespolizei. Anders als die lokalen Polizeibehörden glaubt Chefermittler Hélbio Dias Leite nicht, dass Federicci einem Raubüberfall zum Opfer gefallen ist, denn „viele Leute waren an seinem Tod interessiert“.
Airton Faleiro hat noch weitere Verdächtige ausgemacht: etwa einen Großgrundbesitzer, der den Diebstahl von Holz aus Indianergebieten und von Autos organisiert habe. Und schließlich jene „Elite schlechter Unternehmer“, die sich glänzende Geschäfte vom geplanten Bau des Großstaudamms Belo Monte versprichen, gegen den die MDTX mobilmacht.
Durch die Aufstauung des Amazonas-Nebenflusses Xingu soll nordöstlich von Altamira das mit einer geplanten Leistung von 11.000 Megawatt zweitgrößte Wasserkraftwerk der Welt entstehen. Ende Juli hatte die MDTX das Projekt in einem offenen Brief als Symbol für das Entwicklungsmodell kritisiert, das die brasilianische Regierung in Amazonien „autoritär“ durchsetze – „mit dem Bau von Wasserkraftwerken und Wasserstraßen, der Förderung der intensiven Landwirtschaft mit hohem Input von Chemikalien, extensiver Viehwirtschaft und der Ausbeutung von Bodenschätzen unseres Waldes“. Das Projekt sei ein „Anachronismus“, der den Menschen in der Region wenig nütze. Zudem gehe Eletronorte mit der Opposition wie zu Zeiten des Militärregimes um. Veranstaltungen würden gefilmt, um die KritikerInnen einzuschüchtern.
„13 Arbeiter sind in diesem Jahr in Pará ermordet worden, ohne dass irgendjemand dafür zur Verantwortung gezogen wurde“, sagt der Bundesabgeordnete Paulo Rocha von der Arbeiterpartei (PT). Straflosigkeit hat in Nordbrasilien Tradition. Befreiungstheologe Frei Betto befürchtet: „Solange es keine Agrarreform gibt und keine Justiz, die die Rechte der Armen nicht mit Füßen tritt, werden die angekündigten Todesfälle weitergehen.“
Zugleich scheint die jüngste Welle der Gewalt eine Reaktion der Oligarchien auf Erfolge der sozialen Bewegungen und die Versuche einiger Bundesbehörden zu sein, Licht in zahlreiche Korruptionsaffären zu bringen. Der mächtigste „Pate“ in Pará, Exgouverneur und Senator Jader Barbalho, muss schon seit sieben Wochen eine Zwangspause als Senatspräsident einlegen.
Ähnlich liegen die Verhältnisse 1.800 Kilometer weiter westlich, im nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco. Dort wurde vor zwei Wochen Francisco Santana, ein hoch angesehenes Mitglied der Xukuruvolkes, in einem Hinterhalt erschossen. Der Täter floh zum Landgut eines Großgrundbesitzers, der als Drahtzieher des Mordes an dem Indianersprecher Xicão Xukuru im Mai 1998 gilt. Hintergrund dieses Mordes ist vermutlich ein Landkonflikt zwischen den Xukuru und weißen Siedlern.
GERHARD DILGER
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