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Auslieferungshaft am Polarkreis

Kanadisches Gericht gibt dem Auslieferungsbegehren der Bundesanwaltschaft gegen das mutmaßliche RZ-Mitglied Lothar Ebke statt. Sein Anwalt kündigt Berufung an und will notfalls bis vors kanadische Verfassungsgericht gehen

YELLOWKNIFE/BERLIN taz/dpa ■ Im Auslieferungsverfahren gegen das mutmaßliche Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ) Lothar Ebke hat am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) im kanadischen Yellowknife der Richter John Vertes sein Urteil gesprochen. In der am Großen Sklavensee nördlich des Polarkreises gelegenen Stadt gab er grundsätzlich dem Auslieferungsbegehren der deutschen Bundesanwaltschaft (BAW) statt. Der 47-jährige Berliner Ebke wurde nach der Urteilsverkündung wieder in Auslieferungshaft genommen. Bisher war er gegen Kaution auf freiem Fuß gewesen.

Die BAW beschuldigt den ehemaligen Hausmeister des Berliner Mehringshofs, seit Mitte der 80er-Jahre Mitglied der RZ in Berlin gewesen zu sein. Konkret wirft die BAW ihm außer zwei Sprengstoffanschlägen die Beteiligung an den Knieschussattentaten auf den Chef der Berliner Ausländerpolizei Harald Hollenberg 1986 sowie den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Günter Korbmacher 1987 vor. Die Vorwürfe gegen Ebke beruhen ausschließlich auf den Aussagen des Kronzeugen und inzwischen rechtskräftig als RZ-Mitglied verurteilten Tarek Mousli. Am 18. Mai 2000 war Ebke in Yellowknife, wohin er Mitte der 90er-Jahre ausgewandert war, unter Mithilfe von deutschen BKA-Beamten verhaftet worden.

In einem im Frühjahr verkündeten Voraburteil hatte der Richter John Vertes festgestellt, dass es nicht seine Aufgabe ist, inhaltlich zu den Vorwürfen oder gar zur Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Stellung zu nehmen. Er habe nur zu prüfen, ob das Auslieferungsbegehren formal korrekt und der Antragsteller in seinem Land nach rechtsstaatlichen Prinzipien agiere. In seinem nun verkündeten Urteil bescheinigt Richter John Vertes dem Auslieferungsbegehren der BAW diese formale Korrektheit. Wie Ebkes Anwalt in Berlin, Martin Ruppert, gegenüber der taz sagte, bedeute dies nicht, dass die zehnseitige Aussage von Mousli zu Ebke den Richter überzeugt habe. Für die Beweiswürdigung sei allerdings nach Ansicht des Richters ein deutsches Gericht zuständig. Die unter tatkräftiger Mithilfe des deutschen BKA-Beamten Trede durchgeführte Beschlagnahmung von Tausenden von Fotografien, Notizen und Archivmaterialien von Ebke bezeichnete Richter Vertes als rechtswidrig. Diese Dinge sind an Lothar Ebke zurückzugeben und können somit nicht zur Auswertung durch das BKA nach Deutschland gebracht werden. Selbst die „Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss hatten die Polizeibeamten beschlagnahmt.

Martin Ruppert kündigte an, dass Ebke gegen diese Entscheidung Berufung einlegen werde. Weiter steht ihm noch der Gang vor das kanadische Verfassungsgericht offen. Das letzte Wort wird schließlich die kanadische Justizministerin Anne McLellan haben. So sei nicht mit einer baldigen Auslieferung von Ebke nach Deutschland zurechnen, sagte Ruppert. In der Haftfrage zeigte er sich optimistisch, dass in der nächsten Woche von einem neu zuständigen Gericht wieder eine Kaution festgesetzt wird. CHRISTOPH VILLINGER

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