: Lebenszeichen eines Totgesagten
Schweigen um Scharping in Skopje. Zu düster sind die Aussichten: Ein Untersuchungsausschuss droht, und die Offiziere fürchten Etatverhandlungen
aus Skopje BETTINA GAUS
So laut wird selten gemeinsam geschwiegen. Bis nachts um halb zwei saß Rudolf Scharping in der mazedonischen Hauptstadt Skopje mit hohen Offizieren und Journalisten zusammen – und alle dachten nur an das eine. Aber niemand sprach davon: Mit keiner Silbe wurden die innenpolitischen Probleme des Verteidigungsministers erwähnt. Ungehöhrig, ja grausam wäre es wohl den meisten erschienen, den ungewöhnlich wortkargen, in sich gekehrten SPD-Politiker nach seiner Zukunft zu befragen. Wenn die Presse taktvoll wird, dann ist es um ihre Gesprächspartner wirklich schlecht bestellt.
Scharping will über die Affäre nicht reden – selbst gegenüber engen Mitarbeitern ist er in den letzten Tagen darauf mit keiner Silbe eingegangen. Aber er wirkte nachts im riesigen Konferenzsaal des Hotels in Skopje auch dann auf seltsame Weise in sich gekehrt, als Offiziere und Journalisten über die Entwicklung in Mazedonien sprachen. Allenfalls einen Halbsatz warf der sonst oft gesprächige Minister in die Debatte. Meist schien er mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.
Auf der Liste von Scharpings Gesprächspartnern in Mazedonien standen neben anderen der EU-Beauftragte Solana, der Präsident und der Parlamentspräsident des Landes – und sein mazedonischer Amtskollege. Amtskollege? Wie lange wohl noch? Ihn danach zu fragen wäre kaum sinnvoll gewesen. Längst hält Rudolf Scharping das Heft des Handelns selbst nicht mehr in der Hand. Noch während er sich am Donnerstag vor der SPD-Bundestagsfraktion rechtfertigte, machte im Verteidigungsministerium eine neue Hiobsbotschaft die Runde: In der Union gebe es Überlegungen, einen Untersuchungsausschuss zur Flugaffäre einzuseten. Tatächlich kündigte die Union diesen Schritt an, falls im Verteidigungsausschuss keine Aufklärung erreicht werde.
Verhindern könnte die Regierung das nicht. Ein Untersuchungsausschuss ist das Instrument der Opposition. Sie braucht für einen entsprechenden Beschluss keine Mehrheit. Der Verteidigungsausschuss kann sich sogar selbst zum Untersuchungsausschuss erklären, ohne dass dabei Fristen eingehalten werden müssten.
Die Perspektiven, die sich für die Unionsparteien daraus ergeben, sind verführerisch. Sie können die Flugaffäre in den Schlagzeigen halten, ohne beständig nach neuen Informationen suchen zu müssen. Für das Interesse der Medien genügt es, dass der Untersuchungsausschuss tagt. Zumal sich kaum ein süffigeres Thema denken lässt als ein möglicher Zusammenhang zwischen der Liebe eines Ministers und der Verschwendung von Steuergeldern.
Rudolf Scharping stünde am Ende wohl selbst dann nicht unbeschädigt da, wenn sich herausstellen sollte, dass er die Flugbereitschaft niemals auf missbräuchliche Weise beansprucht hat. Und was heißt schon missbräuchlich? Schon früher hat sich mehrfach gezeigt, dass zwischen der dienstlichen und der privaten Nutzung der Luftwaffe oft eine Grauzone liegt.
Der Verteidigungsminister ist auch freitags nach Frankfurt geflogen. Wenn er dort einen dienstlichen Termin wahrgenommen hat, um anschließend das Wochenende bei seiner Lebensgefährtin zu verbringen, dann hängt die Beurteilung dieses Sachverhalts in starkem Maße vom Grad des Wohlwollens gegenüber Scharping ab. Und von der jeweiligen Parteizugehörigkeit.
Im Verteidigungsministerium ist der Unmut groß. Der Zeitpunkt für die Affäre könnte kaum ungünstiger sein. Die rot-grüne Regierung hatte schon im Zusammenhang mit dem jetzigen Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien keine eigene Mehrheit. Sollte die Nato tatsächlich, wie vielfach vermutet, ein Anschlussmandat beschließen, dann werden die Diskussionen neu entbrennen. Ein angeschlagener Minister ist für die Befürworter eines Einsatzes da wenig hilfreich.
Für die interne Stimmung im Ministerium ist mindestens ebenso wichtig, dass in der nächsten Woche im Parlament die Haushaltsberatungen beginnen – und eine Reihe von Plänen im Zusammenhang mit der Bundeswehrreform vom Haushaltsausschuss noch nicht abgesegnet ist. In einer solchen Situation wird ein starker Minister gebraucht. Stattdessen geht ein Politiker ins Gefecht, der in der Debatte über den Bundeswehreinsatz in Mazedoinen „kein Gehör fand im Parlament“, wie ein Offizier sagt, und dessen Liebesleben seit Tagen öffentlich erörtert wird. „Wegen so einem Scheiß“ seien jetzt intensive Anstrengungen vieler Monate gefährdet, klagen auch Führungsleute, die Scharping loyal gegenüberstehen. Dennoch ist bei manchen die Sorge groß, was ein möglicher Wechsel in der Spitze bedeuten könnte: „Fachlich gibt es beim Minister nichts zu kritisieren“, sagt ein anderer Offizier: „Ein Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt würde die Etatverhandlungen weit zurückwerfen.“
Unbegreiflich ist vor allem der Leichtsinn des Ministers. Schließlich ist seit langem bekannt, dass die Nutzung der Flugbereitschaft ein probates Mittel ist, um die Öffentlichkeit gegen einen Politiker aufzubringen – und es ist auch kein Geheimnis, dass die Mehrheit der Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums die gegenwärtige Bundesregierung nicht gewählt hat. Daher kann nicht überraschen, dass die Listen der Flugbereitschaft – wieder einmal – ihren Weg an die Öffentlichkeit gefunden haben.
Schon wieder ein Ministerrücktritt, und das auch noch vor zwei Landtagswahlen: In den letzten Tagen schienen dies die stärksten Argumente dafür zu sein, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder an Rudolf Scharping festhält. Sollte die Opposition nun jedoch tatsächlich einen Untersuchungsausschuss einsetzen, dann sähe die Sache anders aus. Ein Minister, der die Mediendiskussion vorhersehbar und dauerhaft mit einem peinlichen Thema beherrscht? Dann vielleicht doch lieber ein Ende mit Schrecken. Derzeit mag niemand darauf wetten, dass Rudolf Scharping bei der bevorstehenden Sitzung des Verteidigungsausschusses am Montag noch im Amt ist.
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