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Mehr Krieg? Mehr Frieden?

Außenpolitiker aller Parteien fordern „mehr Sicherheit“ – die einen meinen damit mehr Geld fürs Militär, die anderen mehr Mühe bei der Deeskalation

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

„Das ist kein Krieg“, sagt Louis Michel, der derzeitige EU-Ratspräsident und belgische Außenminister, an diesem Morgen in Brüssel. Unter der Kuppel des Reichstags wird Joschka Fischer zur selben Zeit von Reportern gefragt: Ist das ein Krieg, Herr Fischer? Der deutsche Außenminister sucht nach Worten, spricht von Schmerz, Schock und Grauen. Aber Krieg? „Ich möchte mich jetzt nicht auf Begriffe festlegen.“

Selbst an einem Tag, wo nichts scheint wie sonst, wird Politik immer noch über Worte gemacht – und Außenpolitik zumal. Die Frage, ob der Angriff auf Amerika als Krieg definiert wird, bestimmt daher maßgeblich mit, welche Konsequenzen daraus für die Außen- und Sicherheitspolitik erwachsen: In einem Krieg sind alle Mittel recht, die Bereitschaft zur Eskalation steigt.

Die Politiker im Reichstag diskutieren kurzfristig und langfristig: Wie stellt die Bundesrepublik sich zu möglichen Vergeltungsschlägen der USA? Und erfordert der Angriff vom Vortag grundlegende Veränderungen in der deutschen Außen- und Verteidigungspolitik?

Es war Kanzler Gerhard Schröder, der am Abend des 11. September von einer „Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt“ gesprochen hatte. Das hatte bei Beobachtern die Frage aufgeworfen, ob damit eine deutsche Beteiligung an möglichen Einsätzen der US-Streitkräfte vorbereitet werden sollte. Beschwichtigend erklärte gestern Kanzleramtsminister Frank Steinmeier, die Formulierung bedeute nicht den „Bündnisfall“, also die militärische Beistandspflicht der Nato-Staaten mit ihrem angegriffenen Partner USA.

Mit einem US-Vergeltungsschlag rechnen jedoch die meisten der Abgeordneten. Fischer sagt: „Es gehört nicht sehr viel Fantasie und politische Klugheit dazu sich vorzustellen, was passieren wird.“ So diplomatisch wie die neuen Grünen sind, fallen auch ihre Warnungen vor einem Vergeltungsschlag aus. Gerade jetzt sei die Solidarität mit den USA wichtig, meint etwa Bundestagsvizepräsident Antje Vollmer, denn damit sende man ein Signal zur Deeskalation: „Ihr seid nicht allein, aber damit habt ihr auch ein bisschen Luft. Ihr müsst also nicht sofort reagieren, ihr habt Zeit nachzudenken.“ Direktere Möglichkeiten, auf Washington einzuwirken, sieht auch Fischer nicht: „Ich glaube nicht, dass das jetzt die Frage ist.“

Bei den Grünen, aber auch bei ihrem Außenminister, richtet sich der Blick offenbar schon über die Tat und eine mögliche Vergeltung hinaus. „Für die Grünen ist das eine hoch dramatische Situation“, diagnostiziert Antje Vollmer, „weil es fürs Erste eine Niederlage der friedlichen Deeskalationsstrategie zu sein scheint“. Ein Irrtum sei diese Sichtweise, glaubt Vollmer, aber auch sie weiß, dass den Verfechtern eines präventiven Wegs schwere Zeiten bevorstehen.

Einig sind sich alle Fraktionen im Ruf nach „mehr Sicherheit“ – aber was darunter zu verstehen ist, darüber gehen die Vorstellungen weit auseinander. Spätestens jetzt zeige sich, dass Europa auch unter einem äußeren Druck stehe, enger zusammenzurücken, sagt Fischer. Doch nicht nur in der CDU/CSU-Fraktion, auch in der SPD-Fraktion übersetzen bereits manche die Sehnsucht nach „mehr Sicherheit“ mit „mehr Ausgaben für Militär und Geheimdienste“. Verteidigungsminister Rudolf Scharping sieht sich in seiner Bundeswehrreform bestätigt, die den Ausbau der Krisenreaktionsstreitkräfte vorsieht. Hans-Ulrich Klose, der frühere SPD-Fraktionschef und Außenpolitiker, fordert bereits, „Sicherheitsmaßnahmen sehr zu verstärken“ sowie Veränderungen bei der Ausrichtung der Nachrichtendienste und Sicherheitskräfte vorzunehmen. Politiker aller Parteien sprechen an diesem Tag davon, die Welt sei nicht mehr dieselbe. Paul Breuer, verteidigungspolitischer Sprecher der Union, schilderte, was das aus seiner Sicht konkret heißt: „Wir haben (in Deutschland) nur noch über die Dimension der sozialen Sicherheit diskutiert. Jetzt gewinnt die militärische Sicherheit einen neuen Stellenwert.“ Breuer mahnt zur Besonnenheit, fordert aber zugleich: „Wir müssen die Antiterrorkräfte aufstocken, das gilt für die Bundeswehr, den Bundesgrenzschutz und die Polizei.“

Bei ethnischen Konflikten wie in Nahen Osten helfen Gewehre, Knüppel und Radar nicht weiter, findet Antje Vollmer. Sie fordert eine internationale Institution mit klaren Regeln, von der sich Minderheiten Recht versprechen können, statt zu Bomben zu greifen. „Die Krankheit des alten Europa war der Nationalismus“, sagt Vollmer, „die Krankheit der neuen Globalisierung sind diese Art ethnischer Konflikte, die explodieren.“

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