: George W. Bush plant einen Feldzug
Nicht allein mit Luftangriffen, sondern mit Bodentruppen will der US-Präsident die Herrschaft der Taliban beenden. Doch dafür braucht er Verbündete
von BERND PICKERT
Die Welt scheint noch eine Weile auf eine umfassende Reaktion der US-Regierung auf die Anschläge in New York und Washington warten zu müssen. Das wahrscheinlichste Szenario, das sich aus den verschiedenen Äußerungen von Regierungsvertretern in Washington ableitet, lässt keinen schnellen militärischen Gegenschlag erwarten. Das bestätigte am deutlichsten der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz am Donnerstagabend, als er davon sprach, es gehe um „einen Feldzug, nicht eine vereinzelte Aktion“. Und er schloss gleichzeitig aus, dass die Verhaftung der unmittelbar Verantwortlichen, wenn sie denn gelänge, ausreichen könnte: „Es geht nicht einfach darum, Leute zu verhaften und zur Verantwortung zu ziehen, sondern es geht darum, die Schlupflöcher zu schließen, die Versorgungssysteme zu zerstören und Staaten auszuschalten, die Terrorismus unterstützen.“
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagte am Mittwoch in einer Ansprache an die US-Truppen: „In den nächsten Wochen und Monaten wird Ihnen mehr, viel mehr abverlangt werden. Das gilt insbesondere für jene, die sich im Feld befinden. Wir haben es mit neuen und schrecklichen Feinden zu tun, die wir bezwingen wollen. Diese Aufgabe fällt Ihnen zu.“ Auf Bitte Rumsfelds wird Bush wohl die Einberufung von bis zu 50.000 Reservisten genehmigen.
Außenminister Colin Powell hat am Mittwochabend erstmals regierungsoffiziell bestätigt, dass die USA den saudi-arabischen Multimillionär und islamistischen Terroristenführer Ussama Bin Laden für den Urheber der Anschläge halten. Nach der von Präsident George W. Bush vorgegebenen Sprachregelung, man werde nicht unterscheiden zwischen den Tätern und jenen, die ihnen Schutz gewähren, kann es kaum einen Zweifel geben: Die USA sind dabei, eine mit Bodentruppen gestützte Offensive vorzubereiten, die dem Taliban-Regime in Afghanistan ein Ende bereitet. Der US-Angriff könnte sich zugleich gegen Länder richten, die Washington der Unterstützung des Terrorismus beschuldigt.
Mit Luftangriffen allein ist das nicht zu machen. Für den Einsatz von Bodentruppen in Afghanistan aber braucht die US-Armee ein Aufmarschgebiet. Wenn der Iran aus nahe liegenden Gründen ausfällt, bleiben nur Pakistan, Turkmenistan oder Usbekistan. Vor zwei Tagen bereits haben die USA der pakistanischen Regierung eine ganze Liste von militärischen Wünschen vorgelegt – von Überflugrechten für Flugzeuge und Cruisemissiles bis hin zur zeitweiligen Stationierung von Bodentruppen. Der Köder: Bessere Beziehungen und die Aufhebung der restlichen Sanktionen, die seit den pakistanischen Atomtests im Mai 1998 noch gegen Pakistan bestehen. Doch die pakistanische Regierung, deren Geheimdienst selbst engsten Kontakt zu den Taliban hält, zögert und hat sich Bedenkzeit ausgebeten. Indien hingegen, das bei Angriffen auf Afghanistan etwa von US-Flugzeugträgern im Indischen Ozean ebenfalls zustimmen müsste, hat bereits volle Unterstützung zugesichert.
Moskau soll helfen
Für die Nutzung usbekischen oder turkmenischen Territoriums müssten die USA mindestens mit Russland zusammenarbeiten. Das scheint nach den bisherigen Unterstützungserklärungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht undenkbar, und US-Außenminister Colin Powell zeigte sich am Mittwoch zuversichtlich: „Die Russen verfügen über viel Erfahrung in Afghanistan, auf die wir aufbauen können.“ Der Preis für die Kooperation könnte hier, spekulieren US-Medien, ein vorläufiges Ende der Diskussion über die Aufkündigung des ABM-Vertrages wegen der US-Raketenabwehrpläne sein.
Der Haken: Zwar hat Russland in Tadschikistan 25.000 Soldaten stationiert, doch Usbekistan und Turkmenistan sind eigenständige Staaten, mit denen auch eigenständig verhandelt werden müsste. Immerhin hat die turkmenische Regierung gestern erklärt, sie werde eine „antiterroristische Koalition“ unterstützen und sich auch daran beteiligen. Tadschikistan schloss mögliche Überflugrechte für US-Raketen oder Flugzeuge nicht aus.
Die USA müssen zudem vermeiden, die afghanische Exilregierung gegen sich aufzubringen, die nach wie vor international anerkannt ist. Deren „Verteidigungsminister“ ist der nach einem Attentat in Lebensgefahr schwebende General Masud, dessen Truppen noch rund zehn Prozent des Landes kontrollieren. Tadschikistan, ebenso wie Russland, unterstützen Masud. Wenn die USA die Wiedereinsetzung der international anerkannten Regierung in Afghanistan zum Ziel einer Intervention erklärten, könnten sich Kooperationsmöglichkeiten ergeben.
Ganz so einfach ist es jedoch nicht: Der russische Verteidigungsmister Sergej Iwanow sagte gestern, er sehe nicht einmal eine „hypothetische Möglichkeit“, dass die USA einen Angriff auf Afghanistan von den zentralasiatischen Republiken aus starten könnte. Erst in zwei Wochen, so Iwanow, würden sich die Generalstabschefs der GUS-Staaten treffen, um über Antiterrormaßnahmen zu beraten.
Wie weit die Nato, die am Mittwoch festgestellt hatte, die Anschläge auf die USA seien Angriffe auf das ganze Bündnis nach Artikel 5 des Nato-Vertrages, in die US-Militärpläne direkt eingebunden werden soll, ist noch unklar. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die USA eine direkte Beteiligung von Nato-Truppen für einen Einmarsch in Afghanistan verlangen könnten – politische, logistische und finanzielle Unterstützung hingegen dürfte den Nato-Partnern abverlangt werden. Die Regierung der Türkei, des größten Nato-Partnerlandes in der Region, hat bereits ihre Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt und erklärt, die Luftwaffe stünde für die Teilnahme an einem möglichen Gegenschlag bereit. Der US-amerikanische Luftwaffenstützpunkt Incirlik im Südosten der Türkei dürfte für die US-Militärplanungen ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.
Die ersten politischen Hürden im eigenen Land hat die Bush-Regierung bereits genommen: In den frühen Morgenstunden bewilligte der Kongress gestern der Regierung ein Sonderpaket von 40 Milliarden Dollar für Wiederaufbau und Terrorismusbekämpfung. Nicht so schnell mochte der Kongress allerdings dem Vorschlag des Präsidenten zustimmen, er möge als oberster Kriegsherr der Nation die gleichen absoluten Entscheidungsbefugnisse erhalten wie nach einer offiziellen Kriegserklärung durch den Kongress – ohne dass diese Kriegserklärung aber erfolge. Das weckt bei vielen Parlamentariern in Senat und Repräsentantenhaus Erinnerungen an den Vietnamkrieg, als der Kongress 1964 Präsident Lyndon B. Johnson in der „Gulf of Tonkin Resolution“ eine ähnliche Vollmacht erteilte. Die Folge war der offiziell nie erklärte Vietnamkrieg.
Gestern stimmten die Fraktionschefs dem Einsatz „aller notwendigen und angemessenen Mittel“ für einen Vergeltungsschlag zu. Welche Vollmachten daraus genau erwachsen, war zunächst nicht bekannt.
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