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Wir machen mit, ganz egal, wobei
Politiker zeigen gern, dass sie eine feste Meinung haben. Bisher mussten dafür Ereignisse allerdings stattgefunden haben oder Vorhaben doch zumindest in ihren Einzelheiten bekannt sein. Das hat sich geändert. Zu den angekündigten Militäroperationen der USA haben alle möglichen Leute schon ganz feste Meinungen – obwohl niemand weiß, wie diese Operationen konkret aussehen werden.
Möglich, dass US-Truppen nichts weiter tun werden, als nachweisliche Drahtzieher der Terroranschläge dingfest zu machen und in Handschellen abzuführen, ohne dass irgendjemand bei dieser Aktion zu Schaden kommt. Auch möglich, dass Washington den Abwurf einer Atombombe beschließt. Wahrscheinlich ist keines der beiden Szenarien – die Realität dürfte anders aussehen. Aber wie? Werden Raketen auf Kabul abgefeuert? Wird Bagdad angegriffen? Fallen Bomben auf Tripolis? Alles ist vorstellbar. Aber eben bisher nur vorstellbar. Wir wissen nichts.
Für den Prozess der Meinungsbildung deutscher Politiker spielt das allerdings keine Rolle. Sie scheinen Informationen für entbehrlich zu halten. Der SPD-Abgeordnete Hans-Ulrich Klose, dem man eigentlich mehr Verstand zugetraut hätte, hat jetzt in einem Interview angekündigt, dass seine Fraktion einen Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung der USA geschlossen mittragen wird. Im Klarext heißt das: Wir machen mit, ganz egal, wobei. Wenn das keine Solidarität ist!
Äußerungen wie die von Klose nähren den Verdacht, dass die Nato den USA einen Freibrief für jegliche Form von Militäreinsätzen ausgestellt hat. Wer von jetzt an auch nur die Frage stellt, ob der Zweck die Mittel heiligt, und wer eine Aktion unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit beleuchtet, der muss fürchten, als Vaterlandsverräter zu gelten – oder doch zumindest des Antiamerikanismus geziehen zu werden. Das ist nicht den USA anzulasten. Sie haben noch gar nichts getan. Das hysterische Klima in Deutschland, das jede nüchterne Abwägung unter Generalverdacht stellt, ist hausgemacht.
Übermorgen wird der Bundestag die Lage in einer Sondersitzung erörtern. Es ist nicht davon auszugehen, dass Washington den deutschen Parlamentariern bis dahin detaillierte Einsatzpläne zukommen lässt. Worüber möchten die Abgeordneten eigentlich reden? Wenn sie – wie bisher zugesagt – keinen Vorratsbeschluss fassen wollen, der einen Einsatz der Bundeswehr ohne Kenntnis näherer Einzelheiten ermöglicht, dann kann es nur darum gehen, nationale Einheit zu demonstrieren.
Politiker, von denen man bisher nicht präzise wusste, was sie eigentlich genau unter Demokratie verstehen, bezeichnen derartige Veranstaltungen gerne als Schulterschluss aller Demokraten. Aller Demokraten? Unionspolitiker fordern – lustigerweise ungefragt – bereits die Bildung einer großen Koalition und betonen, jetzt müsse jeder Parteienstreit schweigen. Das verstehen sie also unter Demokratie: einen Luxusartikel, den man sich in ruhigen Zeiten gerne mal leistet. BETTINA GAUS
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