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Eine wirklich nette Band

Die Kreuzberger Musikgruppe Dezibel hat Hans Eichel einen Song geschrieben. Aber wer hätte geahnt, dass die ganze Geschichte so endet, wie es dann gekommen ist: der Rummel, die Anschuldigungen, die hässlichen Artikel, die Kleine Anfrage im Bundestag. Und vor allem: wieder vergessen zu werden

Eine Leadsängerin unter Männern aus Jeans, Bier und Schnauzbärten

von KIRSTEN KÜPPERS

Es muss ein großes Gefühl gewesen sein: die Freude, als der Auftrag kam, der Anruf von der Öffentlichkeitsabteilung des Bundesfinanzministeriums. Ob sie nicht auftreten könnten am Tag der offenen Tür, fragte die herzliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Ja, natürlich, versicherte der Pressesprecher weiter, der Finanzminister Hans Eichel werde auch anwesend sein.

So fing die Sache an, im Juni dieses Jahres, und alles war noch unschuldig und schön für Manuela „Geppi“ Gebhardt und die anderen von der Berliner Band „Dezibel“. Wer hätte schließlich ahnen können, dass die ganze Geschichte so endet, wie es dann gekommen ist: der Rummel, die Anschuldigungen, die hässlichen Zeitungsartikel, die Kleine Anfrage im Bundestag. Und vor allem das Wieder-vergessen-Werden. Das Zurückrutschen in die Bedeutungslosigkeit, die der Mitarbeiter der Öffentlichkeitsabteilung des Bundesfinanzministeriums in den grausamen Satz zu packen vermag: „Das war nur ein einmaliger Gag“.

Wie jeden Donnerstag sitzen die 34-jährige Geppi und ihre sechs älteren Bandkollegen im Kreuzberger Hinterhofkeller; eine Leadsängerin inmitten einer Männerunde aus Jeans, Bier und Schnauzbärten. Rockmusiker haben eine besondere Sprache. Man spricht von „feeling“, wenn man Stimmung meint. Das Feeling also ist freundlich, aber wachsam. Nicht nur weil man viel mitgemacht hat in letzter Zeit. Der Probenraum konserviert sorgsam die rot-schwarz blätternden Reste, die übrig bleiben, wenn eine Westberliner Band irgendwann Mitte der 70er-Jahre beginnt, ihr melancholisches Lebensgefühl in der Mauerstadt zu vertonen. Verraucht riecht es, der Teppichboden ist abgetreten, an einer Pinnwand hängt ein Foto von Jimmy Hendrix, die Tischplatte, auf der die Flaschen stehen, ist ein ausrangiertes Stoppschild.

So stellt man sich keine Musikgruppe vor, die ihre Seele für billige Reklameaktionen verkauft; Handlanger der Regierung, von unseren Steuergeldern bezahlt, wie viele hinterher geschimpft haben. Nein, die Musiker von Dezibel sind Familienväter in gestandenen Berufen wie Bauleiter, Heizungsingenieur oder Rechtsanwalt. Wegen der Musik und der Freundschaft komme man nach Feierabend zusammen, sagt Berni, der Bassist. Nicht wegen 500 Mark, die man einmal vom Bundesfinanzministerium für ein Lied erhält.

So war es wohl eher der Traum vom Berühmtwerden, der Geppi unbewusst auf den Einfall brachte, eine Hymne auf den Bundesfinanzminister zu schreiben. Die Hoffnung, herauszuwachsen aus dem Kreuzberger Keller, die Sehnsucht nach Abschied von einem Terminkalender, in dem das Fest des Mariendorfer Kulturlustgartens als Höhepunkt des Jahres gilt, oder irgendein Straßenfest.

Auf so einem hat Jürgen Flemnitz, Mitarbeiter der Öffentlichkeitsabteilung des Bundesfinanzministeriums, die Band auch entdeckt: auf dem diesjährigen Müllerstraßenfest, der Krönung der Sommerherrlichkeit im Arbeiterbezirk Wedding. Es mag an der guten Laune, an den Biertischen gelegen haben, auch am Klatschen der Leute oder wirklich an der klaren Stimme der Sängerin Geppi. Jedenfalls schien Flemnitz die Band so viel moderner und schwungvoller als die 30-köpfige Blaskapelle des Zolls, die er üblicherweise fürs Ministerium bucht. Kurze Zeit später folgte seine Anfrage.

Geppi reagierte, wie sie auch bei anderen Hochzeits- und Geburtstagseinladungen zu reagieren pflegt: Zu Ehren des Gastgebers dichtete sie einen alten Liedtext um. Nicht weil sie das machen musste, sondern einfach aus Nettigkeit. Diesmal eben für den deutschen Finanzminister. Jürgen Flemnitz schickte ein paar Zeitungsartikel zur Information, „so eine Band weiß ja nicht, was der Finanzminister für Politik macht“.

Heraus kam ein mittelprächtiger Song, das gibt Geppi unumwunden zu. „Das Stück ist nicht repräsentativ für die Musik, die wir machen.“ Die anderen nicken bestürzt. Das Stück „Er, wer sonst“ sagt aus, dass Hans Eichel gerne Bier trinkt, sein Mittagessen an der Dönerbude holt und für uns alle spart. „Auch wenn die Ökosteuer kneift, er bleibt dabei, weil’s richtig ist“, heißt es da. Ein bisschen holperig mag das klingen, ein bisschen zu brav auch. Vor allem ist es wohl einfach naiv, ein solches Lied gedankenlos in die politische Gegenwart zu streuen. „Wir sind da eben reingestolpert“, meint Berni, „wir sind keine politische Band“, sagt Geppi, Schultern zucken schicksalsergeben.

Es geschah, was keiner der Bandmitglieder vermutet hätte. Die Medienmaschine sprang an. Nachdem das ZDF zur besten Sendezeit ein Video über den Eichel-Song gezeigt hatte, folgten Telefonanrufe, Interviews, Beiträge, selbst von CNN und BBC. Allerdings interpretierte die Öffentlichkeit das Stück anders als erwartet, nämlich als peinlich plumpe PR-Attacke aus der SPD-Zentrale; die Süddeutsche Zeitung fühlte sich an „die Lobpreisungen kommunistischer Diktatoren-Dichter“ erinnert; im Internet wurde Dezibel mit „Liebedienern des 50er-Jahre-Stalinismus“ verglichen; der CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer konterte mit einem Gegensong; die PDS veranlasste nach dem Tag der offenen Tür des Bundesfinanzministeriums am 1. September eine Kleine Anfrage im Bundestag. Kurzum: Dezibel wurde beinahe in der Luft zerfetzt.

Eine Rockband kann das nicht erschüttern, meint man. Früher haben die Jungs von Dezibel Lieder gegen Atomkraft geschrieben, Songs mit Titeln wie „Gestern auf dem Friedhof“ oder „Liebe, Tod und Teufel“. Sie haben 20 Jahre als Gruppe durchgehalten. Gemeinsam wurden Irland-Urlaube, die Hochzeiten, Schwangerschaften, Berufsjubiläen bewältigt. Sie haben einen runden weiblichen Fan namens Pitti, der zu jedem ihrer Konzerte pilgert. Pitti kann Geschichten erzählen, die irgendwo weit in der Vergangenheit anfangen und von Plattenverträgen handeln, die ein wichtiger Produzent an einem Kneipentresen versprochen hat. Die Geschichten enden damit, dass die Verträge wegen irgendwelcher Ungereimtheiten später doch bei den „Skorpions“ gelandet sind. Übrig bleibt Stolz. „Dezibel ist die einzige Band in der Berliner Straßenfestszene, die nur eigene Stücke spielt, keine Cover-Versionen“, sagt Geppi. All das ist nicht wenig. Das ist nicht viel. Das muss man erst mal schaffen.

Aber nun herrscht Trauer. Darüber, dass ihr Lied über den Finanzminister zu einem solchen Politikum geworden ist. „Für unsere Musik hat sich keiner interessiert“, sagt Jörg, der Schlagzeuger. Dabei ist das doch das Wichtigste. Wenn Geppi nun im Kreuzberger Keller singt, schüttelt sie ihre Haare. Der Text handelt diesmal nicht von Hans Eichel, sondern von Flügeln, die wachsen. Jörg drischt auf sein Schlagzeug ein, das Gitarrensolo ist wild, Pitty hat die Augen geschlossen. Sie ist jetzt ganz versunken.

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