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Rücksicht auf die Opposition daheim

Eine allzu deutliche Unterstützung der USA bei der Verfolgung der Attentäter von New York und Washington wäre für die radikal-islamistischen Bewegungen einiger arabischer Länder ein willkommener Anlass, Stärke zu demonstrieren. Regierungen fürchten deren Mobilisierungskraft

Iraks Präsident Saddam Hussein nimmt weiterhin die Schurkenrolle ein

von ANTJE BAUER

„Ich glaube nicht, dass die USA militärische Unterstützung benötigen“, sagte Marwan Muasher, Jordaniens Botschafter in der US-Hauptstadt, zur Washington Post. „Es wird eine verdeckte Kooperation der Geheimdienste geben, die die Öffentlichkeit nicht miteinbezieht.“ Mein Wort in Gottes Ohr, mag er sich dabei gedacht haben. Denn die Regierungen der arabischen Länder haben sich nach den Attentaten in den USA zwar in Verurteilungen und Hilfsangeboten gegenseitig überboten. Doch nun tun sie sich schwer, ihr Angebot auch in die Tat umzusetzen. In fast allen Ländern gibt es militante islamische Gruppen, deren antiwestliche Mobilisierungskraft die Regierungen fürchten. Und eine allzu sichtbare Unterstützung der USA wäre ein willkommener Anlass für diese Gruppen, ihre Stärke zu demonstrieren.

Dass sich die USA mit einer diskreten Zulieferung von Informationen nicht begnügen werden, haben sie inzwischen deutlich gemacht. Laut der libanesischen Tageszeitung The Daily Star händigte US-Vizeaußenminister William Burns am vergangenen Freitag einem Dutzend arabischer Botschafter eine Liste der Forderungen aus, denen nachzukommen habe, wer bei der antiterroristischen Koalition mitmachen wolle. Darin wurden die arabischen Regierungen aufgefordert, der „internationalen Gemeinschaft“ alle verfügbaren Informationen über antiwestliche Bewegungen und Personen mitzuteilen. Darüber hinaus verlangten die USA, die arabischen Regierungen möchten doch bitte alle flüchtigen mutmaßlichen Terroristen festnehmen, ihnen den Prozess machen und jene Militanten ausliefern, die von der US-Justiz wegen vergangener Attentate verfolgt werden. Hier geht's ans Eingemachte.

Libanons Staatspräsident Emile Lahoud verlangte bei einer Rede am Montag, dass zwischen Terrorismus und dem Recht der Menschen auf Widerstand gegen eine Besatzung unterschieden werde. Damit spielte er auf die libanesische Hisbullah an, die vermutlich zum Netzwerk Ussama Bin Ladens gehört und in den USA auf der Liste der Terrorgruppen steht. Im Libanon wird sie als Widerstandsbewegung gegen die Israelis gefeiert. Ein Vorgehen gegen die Hisbullah würde im Libanon unweigerlich zu verstärktem Antiamerikanismus führen.

Auch wenn der Libanon das einzige Land ist, in dem eine bewaffnete islamistische Organisation gegen Israel kämpft, dient der israelisch-palästinensische Konflikt doch auch in allen anderen arabischen Ländern als Hauptargument gegen eine weitgehende Zusammenarbeit mit den USA. So fand in der Kathedrale der marokkanischen Hauptstadt Rabat am vergangenen Sonntag zwar ein ökumenischer Gottesdienst statt, bei dem die Oberhäupter der christlichen, jüdischen und islamischen Religion gemeinsam für die Opfer des Anschlags beteten und eine Botschaft des Königs Mohammed VI. verlesen wurde. Doch die Tageszeitung L'Opinion warnte: „Pakistan, Indien, der Iran, die Golfstaaten, Indonesien und Ägypten werden einen totalen Krieg in Afghanistan nicht akzeptieren können und auch keinen Kreuzzug, dessen Ziele nicht klar definiert sind. Die Risiken sind insofern besonders groß, als Washington nicht bereit scheint, eine politische Aktion einzuleiten, die die arabischen und muslimischen Massen beruhigen würde. Europa müsste (. . .) Washington auffordern, seine Rolle im Nahostkonflikt einzunehmen und Israel zur Verantwortung zu ziehen.“

In Marokko gibt es einschlägige Erfahrungen mit dieser Art Konflikt: Während des zweiten Golfkriegs 1991 hatte sich die marokkanische Regierung auf Seiten der westlichen Alliierten geschlagen, während die Bevölkerung gegen die Bombardierung des Irak protestierte. Profitiert haben davon die islamistischen Bewegungen.

Während die marokkanische Regierung noch versucht, die islamistischen Gruppen durch eine Politik der gemäßigten Repression und der begrenzten Tolerierung in Schach zu halten, sehen sich die Hardliner im benachbarten Algerien in ihrer Position bestätigt, dass man islamistische Gruppen ausmerzen müsse. „Endlich! Der Westen merkt, wie gefährlich die Islamisten sind!“, schreibt Le Matin. Wie um die Befürchtungen zu bestätigen, warnte die radikal-islamische Gruppe Al-Daawa wal Jihad (Aufruf und Kampf), die in Algerien den Terror fortsetzt, sie werde US-amerikanische und europäische Interessen in Algerien angreifen, „falls die USA an arabischen und muslimischen Staaten Vergeltung üben und weiterhin islamistische Netzwerke in den USA, Großbritannien, Frankreich und Belgien behelligen“.

Im Chor der Beteuerungen, die USA zu unterstützen, ist die Stimme Saudi-Arabiens wohl die lauteste. Kein Wunder: Unter den arabischen Ländern ist Saudi-Arabien der engste Verbündete der USA. Und peinlicherweise hatten 14 der 19 mutmaßlichen Luftpiraten saudische Papiere. Ein Teil dieser Dokumente könnte zwar gefälscht oder gestohlen sein. Doch scheint klar, dass einige Selbstmordattentäter in der Tat aus Saudi-Arabien stammten – wie auch der Hauptverdächtige Ussama Bin Laden in Saudi-Arabien geboren ist.

„Endlich! Der Westen merkt, wie gefährlich die Islamisten sind“, heißt es in Algerien

Über Ussama Bin Ladens Rekrutierungstätigkeit und seine Aktivitäten gegen das saudische Herrscherhaus hat sich dieses schon in den Neunzigerjahren geärgert und ihm deshalb 1994 die Staatsangehörigkeit entzogen. 1996 revanchierte sich Ussama Bin Laden (vermutlich), indem er eine US-Militärbaracke in al-Khobar bombardieren ließ, wobei 19 US-Bürger starben. Bei seinem gestrigen Besuch in Washington sollte der saudi-arabische Außenminister Prinz Saud Faisal unter Druck gesetzt werden, den US-Ermittlern weiterzuhelfen. Trotz aller schönen Worte hatten die schon mal Grund zur Klage: Nachdem 1995 in Riad eine Bombe explodierte und fünf Amerikaner in den Tod riss, wurden die Verdächtigen enthauptet, bevor die US-Ermittler mit ihnen hätten sprechen können.

In einer ähnlichen Situation wie Saudi-Arabien befinden sich die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE): westlich orientiert, autoritär regiert, des Radikalismus unverdächtig. Doch ebenso wie in Saudi-Arabien, wo sich die politische Ausrichtung des Herrscherhauses mit der tiefen Frömmigkeit des Volkes nicht verträgt, scheint es auch in den sechs Emiraten einen fruchtbaren Boden für islamistische Bewegungen zu geben. Einer der mutmaßlichen Flugzeugentführer, Marwan al-Shehhi, stammte aus den VAE. Auch andere Spuren führen in diese Region. Schon lange heißt es, Geschäftsleute aus den Emiraten gehörten zu den Unterstützern von Ussama Bin Laden. Seit dem Attentat wird dort ermittelt. Auch erklärte ein Sprecher, man wolle die Beziehungen zu Afghanistan „überprüfen“. Neben Saudi-Arabien und Pakistan haben allein die Emirate die Taliban anerkannt.

Syrien, lange Zeit für die USA ein „Schurkenstaat“, hat sich diesmal beeilt, den Anschlag zu verurteilen. Der syrische Staatspräsident Bashar al-Assad wurde am Dienstag in Saudi-Arabien zu Beratungen über das Attentat erwartet. Der irakische Staatspräsident Saddam Hussein hingegen nimmt weiterhin die Schurkenrolle ein. Nachdem er zunächst als einziger Staatschef den Anschlag begrüßt hatte, müssen ihm inzwischen Bedenken gekommen sein. In der irakischen Presse wurden am Montag Vermutungen geäußert, dass auch der Irak ein Ziel möglicher US-Vergeltungsschläge sein könne. Nun versucht es Saddam Hussein mit Erklärungen. In seiner zweiten öffentlichen Äußerung seit dem Anschlag sagte er am Dienstag über die Reaktionen nach dem „Vorfall“ in den USA vom 11. September, die USA verurteilten, ohne über Beweise zu verfügen.

Am Ende seines offenen Briefs analysiert Saddam Hussein die Hintergründe der Anschläge: „Der Zionismus plant seit seiner bekannten Konferenz in Basel 1897, die Welt zu beherrschen. Seither arbeitet er auf dieses Ziel zu. (. . .) Die Vordenker des Zionismus beabsichtigen deshalb, einen Zusammenstoß zwischen Christentum und Islam herbeizuführen in der Annahme, dass dies und nur dies ihnen die Möglichkeit eröffnet, die Welt zu beherrschen.“ Israel als Urheber der Anschläge auf das World Trade Center: Diese Hypothese dürfte vielen in der arabischen Welt aus dem Herzen sprechen. MITARBEIT: REINER WANDLER

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