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Unter Androiden

Modernes Polit-Theater im CCH. Versuch einer Rezension des Wahlabends  ■ Von Petra Schellen

Schwer, über ein Stück zu schreiben, dessen Ausgang einem nicht gefällt. Unprofessionell vielleicht, sich vom Inhalt des Dargebotenen mehr schockieren zu lassen als von der Form: Inhalte zählen doch im modernen Theater immer weniger, das weiß doch inzwischen jeder! Und wer hätte je gehört, dass die ZuschauerInnen bei laufender Vorstellung aus dem verdunkelten Saal gerannt wären, weil die da oben plötzlich andere Inhalte spielten als vermutet?

Nein, lösen muss man sich von solchen Überlegungen, abstrahieren muss man vom Ergebnis der Bürgerschaftswahlen, sich innerlich befreien von gespenstischen Schill-Prozenten, auf dass man des Spektakels wahren Gehalt erfasse. Vielleicht sollte man also lieber Andersens süffisantes Märchen von des Kaisers neuen Kleidern bemühen, um einzuordnen, was am Wahlabend im CCH vorfiel, wo auf etlichen Bühnen selbstgekürte Könige patrouillierten und sich in prächtige Wort-Gewänder kleideten. Vielleicht sollte man auch der bizarren Tatsache Beachtung schenken, dass in puncto Argumentationslogik keiner der kamera- und mikrobewehrten Höflinge den Mumm aufbrachte zu sagen, der Richter habe ja gar nichts an.

Aber womöglich geht sie hier auch fehl, eine solch profane Forderung nach dramaturgischem Aufbau, sprachlicher Ausgefeiltheit und Stringenz, waren doch die Medienwesire von vornherein eingebunden in das bunte Spiel. Fast herzig übrigens, wie sie sich bemühten, die Gestylten, den Abend mit Coolness zu ertragen, als hätte jeder Einzelne von ihnen die Prozente bis ins Detail vorausgesehen. Keiner der ZDF-NDR-RTL-Sat1- oder sonstwie-Chargen vor Ort gab sich nämlich auch nur im Mindesten überrascht, als erste Hochrechnungen erschienen, vielleicht war das Publikum ja auch vorsichtshalber vorher betäubt worden.

Übel wurde jedenfalls außer vereinzelten Sensibelchen keinem, als markige Sätze fielen wie: „Wenn man sieht, dass das CCH hier, bei einer demokratischen Wahl, bewacht ist wie ein Mafia-Prozess in Palermo, dann ist klar, dass sich was ändern muss. Was wir brauchen, ist eine wehrhafte Demokratie!“ war da zum Beispiel flugs vom Innensenator in spe zu hören. Wie die aussehen sollte, blieb kryptisch; Details hatte der Autor nicht in den Text geschrieben, und vom Schauspieler war keine erhellende Improvisation erwarten, das wäre reine Überforderung gewesen. Immerhin hatte er den Text nicht abgelesen.

Und vielleicht war es auch Absicht, dass Gehaltvolles durch Wiederholungsschleifen ersetzt wurde, als solle ein Klonierungseffekt erzeugt werden, eine Art homöopathische Verdichtung durch Verdünnung sozusagen. Ja, womöglich geriet der Abend vor allem deshalb zur verbalen Wiederholungsschleife, weil aus dem immergleichen Wort- und Textbaustein-Reservoir (SPD: „Wir sind stärkste Partei und haben einen klaren Regierungsauftrag!“; CDU: „Wir stehen für den Wechsel!“) ständig neue Variationen geschaffen wurden, deren Abweichungen nur dem penibel Lauschenden deutlich wurden.

Von vorn nach hinten und wieder zurück wurde der Wortsalat gedreht, erneut abgefragt und reproduziert, ohne dass dabei entwicklungsgeschichtlich relevante Mutationen herausgekommen wären. Und viel war letztlich auch gestisch und mimisch nicht zu machen aus den zentralen Rollen des Stücks: Modernst zu Statisten degradiert waren die immergleich dreinblickenden Protagonisten, eingebettet in ein video-durchwabertes Ambiente mit Bühnen zum „zapping by walking“. Bruce Naumann hätte seine Freude daran gehabt – und mit Sicherheit Erklecklicheres daraus gemacht als die vielen unsichtbaren Regisseure dieses Abends, bei denen niemand wusste, wer hier eigentlich wen hetzt.

Von oben nach unten und zurück und immer schneller durch die Arenen bewegten sich Politiker, Moderatoren und Kamera-Pulks; die Choreographie folgte einer geheimen Ordnung, die vielleicht dereinst Außerirdische entschlüsseln werden. Ein interaktives Stück zum Mitspielen wurde da gegeben; Prügeleien mit sich gnadenlos durchboxenden Fotografen, die Passanten Mikros und Lampen auf die Köpfe warfen, waren mit im Preis; für kurzfristige Aggressionsabfuhr war also gesorgt an diesem bewegenden Abend.

Echte Werbung gucken konnte man in vereinzelten CCH-Ecken übrigens auch – eine Versuchung, der man nach zweistündigem Non-Stop-Politikergeschwätz um ein Haar erlegen wäre. Und hätte man sich nicht immer wieder so verteufelt beflissen an die Ränder der Live-Gesprächsarenen begeben, wäre einem vielleicht wenigstens die pünktlich zur Tagesschau noch mal hochwallende Übelkeit erspart geblieben.

Eine Regung, die nicht nur niemand zu teilen schien, sondern die einem auch das Gefühl vermittelte, sich als einzig Lebendige unter Androiden zu bewegen.

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