: Der Schönhuber von der Elbe
Richter Schill aus Hamburg könnte erfolgreich auch in Sachsen-Anhalt und zum Bundes-tag kandidieren. Sein größtes Problem: Er ist der einzige schlaue Kopf seiner Partei
„Aus der Geschichte lernen“ sollte man auch, wenn das Beispiel, an dem man lernen kann, noch gar nicht so lange her ist. Ronald Schill, der am Sonntag mit rechtsreaktionären Law-and-order-Parolen bei den Wahlen in Hamburg 19,4 Prozent der Stimmen holte, ist nicht der Erste, der als „Rechtspopulist“ verharmlost wurde und so bei manchen nach der Stimmauszählung für Überraschung sorgte. Der „Messias der Schrebergärtner“, der mit faktisch nur einem Programmpunkt und sich selber den Wahlkampf bestritt, dessen „Partei Rechtsstaatlicher Offensive“ (PRO) im Wesentlichen aus bis dato politisch kaum oder gar nicht in Erscheinung getretenen Personen besteht, hat durchaus Parallelen in der Geschichte.
Genau wie PRO ging vor 18 Jahren die damalige Schönhuber-Partei „Republikaner“ (REP) an den Start. Nicht in Hamburg, dafür zunächst in Bayern. Schönhuber, der zwar kein Amtsrichter, dafür aber Fernsehmoderator beim Bayerischen Fernsehen war, inszenierte sich auch als „Anwalt der kleinen Leute“ und „schaute dem Volk aufs Maul“.
Und ebenso wie heute Schill wurde auch Schönhuber zunächst über Jahre hinweg als „Rechtspopulist“ bezeichnet. Die Einstufung der REP als rechtsextremistische Partei durch den sachlich nicht immer kompetenten Verfassungsschutz erfolgte erst etliche Jahre nach Gründung der Partei und nach ihrem Erfolg bei der Europawahl 1989, bei der sie bundesweit 7,1 Prozent der Stimmen einfahren konnte und mit 14,6 Prozent in Bayern der CSU gar erstmals seit Jahrzehnten die absolute Mehrheit genommen hatte.
Die Konzepte beider Parteien – von REP und PRO – weisen frappierende Übereinstimmungen auf. Ein einziger inhaltlicher Punkt wird zum alles dominierenden Wahlkampfthema erkoren; es werden in erster Linie unbekannte, zumeist unbedarfte Kandidaten aufgestellt; und durch den Mangel an programmatischen Aussagen sollen möglichst wenige oder am besten gar keine Angriffsflächen geboten werden. Zudem wird der jeweilige große Vorsitzende als „Mann des Volkes“ und als „Märtyrer“ dargestellt, mit dem sich die angeblich oder tatsächlich Benachteiligten und Zukurzgekommenen identifizieren können – in Bayern der geschasste Fernsehmoderator und SS-Freiwillige, in Hamburg der strafversetzte Amtsrichter und Hardliner.
Und natürlich gilt für Schill, was auch für Schönhuber galt: Zunächst konzentrierte er sich auf ein Bundesland, das „Stammland“ sozusagen – aber mit klarem Blick nach Höherem. So sind die Spekulationen über den weiteren Weg von PRO mehr als nur Gerüchte. Als nächstes Ziel könnten die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt im Frühjahr 2002 auf dem Plan stehen. Schill hätte sehr große Chancen, die DVU zu beerben, die dort 1998 fast 13 Prozent der Stimmen errang und zwischenzeitlich auch in Magdeburg den Beweis antrat, was DVU in der Praxis bedeutet: die Paarung von unbeschreiblicher Dummheit und Unfähigkeit mit grenzenloser Geldgier.
Angesichts der Politikverdrossenheit in Sachsen-Anhalt könnte Schill – gut ein halbes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl – das DVU-Ergebnis von 1998 sogar noch toppen, wenn er durch eine Regierungsbeteiligung in Hamburg „geadelt“ werden sollte. Dass er in der Lage ist, selbst eine DVU mit ihren millionenschweren Materialschlachten in der Versenkung verschwinden zu lassen, hat der umtriebige Richter in Hamburg bewiesen. Die DVU sackte von 4,9 Prozent auf ruinöse 0,7 Prozent ab und fiel aus den vier Bezirksparlamenten, in denen sie vertreten war, kurzerhand wieder heraus. Die REP kamen gar nur noch auf kaum mehr wahrnehmbare 0,1 Prozent, nach 1,8 Prozent vor vier Jahren. Die NPD war erst gar nicht mehr zur Bürgerschaftswahl angetreten; bei den Bezirkswahlen, für die sie Kandidaten aufstellte, verschwand sie im statistischen Nirwana.
Wenn Schill nach seinem Wahlsieg ankündigte, sich die Möglichkeit einer Kandidatur bei der Bundestagswahl in einem Jahr offen zu halten, hat er dies sicherlich nicht im Übermut des Überraschungssiegers verkündet. Schill ist ein Mann, der schon seit geraumer Zeit zielstrebig an seinem Image als „Richter Gnadenlos“ arbeitet, der aufzuräumen verspricht, um die „braven Bürger“ zu schützen. Er wollte keine juristischen oder strafrechtlichen Signale setzen – muss der studierte Jurist doch stets gewusst haben, dass seine teilweise unmöglichen Urteile in der nächsten Instanz aufgehoben werden. Es dürfte ihm vielmehr um das Image, um den PR-Erfolg gegangen sein, den er auch zur Genüge hatte. Das Ergebnis wurde am Abend des vergangenen Sonntags bekannt.
Und so zielstrebig, wie er seinen Erfolg in Hamburg vorbereitet hat, so zielstrebig wird er auch an seiner bundespolitischen Karriere arbeiten. Jeder, der etwas anderes glaubt, läuft Gefahr, sich am Abend der Bundestagswahl genauso verwundert die Augen zu reiben wie am Abend der Hamburg-Wahl. Für die Zukunft der Schill-Partei gibt es faktisch nur zwei Optionen – entweder wird sie zu einer folkloristischen Eigenart der Hamburger, etwa wie die CSU in Bayern, oder sie wird den bundesweiten Durchmarsch proben.
Am Willen der Macher wird Letzteres schon mal nicht scheitern. Genügend Wählerstimmen, die man einsammeln kann, sind vorhanden – der Zerfallsprozess der „Republikaner“ nach ihrem Ausscheiden aus dem baden-württembergischen Landtag im April wird verstärkt anhalten. Und auch die DVU dürfte dank ihrer eigenen Unfähigkeit und der unentwegten Produktion von Skandalen leicht zu beerben sein – zumal DVU-Chef Frey nach seiner Pleite bei der Bundestagswahl 98 so schnell nicht mehr bundesweit antreten dürfte.
Die Auswirkungen auf die „Volksparteien“ sind noch nicht absehbar. Der Wettlauf um den rechten Rand wird sich weiter verschärfen, mit der Folge freilich, dass Leute wie Schill hoffähig gemacht werden. Was in der Hansestadt das Ergebnis hatte, dass Schill nicht nur die schon erschreckenden 11 Prozent bekam, die ihm einige Meinungsforscher vorhergesagt hatten, sondern eben fast 20 Prozent.
Wie aber wird die Zukunft von PRO mittelfristig aussehen? Was passiert, wenn Schill tatsächlich in den Bundestag einziehen würde? In Hamburg, auf Landesebene, wäre dann seine Partei kopf- und programmlos. Das ist der Fluch, der auch schon REP und DVU einen dauerhaften bundesweiten Erfolg verwehrte: die alleinige Konzentration auf eine Person, die im Schlepptau eher einfach strukturierte Gemüter nach sich zieht. Die Schill-Partei macht hier keine Ausnahme. Und die Tatsache, dass so mancher Querulant aus der untergegangenen Statt-Partei heute bei PRO Unterschlupf gefunden hat, wird auch Richter Schill bald Schwierigkeiten bereiten.
Trösten kann freilich auch diese längerfristige Option nur wenig, denn die Frage bleibt offen, wohin sich die insgesamt über 19 Prozent Hamburger dann orientieren. Und immer darauf zu hoffen, das Problem der rechten Stimmenfänger erledige sich von selbst bis zur nächsten Wahl, ist blauäugig.
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