: Mord in Nordirland
Zum ersten Mal ist ein Journalist das Ziel. Martin O‘Hagan stand auf der Todesliste protestantischer Terroristen
DUBLIN taz ■ Martin O‘Hagan wusste, dass er auf der Todesliste der protestantischen Terroristen Nordirlands stand. Sie hatten es ihm immer wieder gesagt. Zu oft hatte der 51-jährige Reporter über ihre mörderischen Aktivitäten und ihren Drogenhandel geschrieben. In der Nacht zum Samstag ist O‘Hagan auf dem Heimweg vom Pub in seiner Heimatstadt Lurgan bei Belfast erschossen worden. Er war der erste Journalist, der im nordirischen Konflikt ermordet worden ist.
Am Abend bekannten sich die „Red Hand Defenders“ zur Tat. Das ist ein Tarnname, der von einer ganzen Reihe von Organisationen benutzt wird, weil sie offiziell im Waffenstillstand sind. Doch trotz der angeblichen Waffenruhe seit dem Karfreitagsabkommen 1998 haben diese Organisationen ein gutes Dutzend Katholiken ermordet, von den Bombenanschlägen, den nächtlichen Überfällen auf katholische Viertel und den Bestrafungsaktionen ganz zu schweigen.
O‘Hagan arbeitete für die Sunday World, eine gesamtirische Boulevardzeitung der schlechteren Sorte, die aber hin und wieder mit gut recherchierten Exklusivgeschichten überrascht. Viele davon stammten von O‘Hagan. Er war einer der wenigen Reporter überregionaler Zeitungen, die mitten im Konfliktgebiet lebten und nicht nur ab und zu anreisten, um über die „Troubles“, wie der Krieg in Nordirland euphemistisch genannt wird, zu berichten. O‘Hagan war ein leichtes Ziel, seine Killer kannten sein Haus, seine Stammkneipe, seinen Lebensrhythmus.
Gespaltene Stadt
Und O‘Hagan kannte seinen Mörder. „Es ist Mackers“, schrie er, bevor der Mann vom Rücksitz eines Autos das Feuer eröffnete. Der ausgebrannte Wagen wurde später in der protestantischen Mourneview-Siedlung gefunden. Vor einem Jahr war O‘Hagan mit seiner Frau und den drei Töchtern in die benachbarte Tandragee Road gezogen. Lurgan ist eine gespaltene Stadt, wie so viele Städte in Nordirland. An den Wandmalereien kann man sich orientieren. In der Mourneview-Siedlung, in Sichtweite von O‘Hagans Haus, hat irgendjemand ein Porträt Billy Wrights an eine Giebelwand gemalt. Wright war Chef der Loyalist Volunteer Force (LVF), die sich von der mörderischen Ulster Volunteer Force (UVF) abgespalten hatte, weil sie ihr zu friedlich war. O‘Hagan hatte den Spitznamen „King Rat“ für Wright erfunden, und fortan benutzten ihn Freund und Feind.
1992 musste O‘Hagan Nordirland für zwei Jahre verlassen, weil Wright ihm mit Mord gedroht hatte. O‘Hagan ging nach Cork im Süden Irlands, das Büro der Sunday World in Nordirland wurde kurz darauf durch eine Bombe zerstört. Wright wurde schließlich im Gefängnis von der Irischen Nationalen Befreiungsarmee (INLA) getötet.
Austritt aus der IRA
O‘Hagan ist 1950 in Lurgan geboren worden. Als der Konflikt ausbrach, war er 19 Jahre alt. Er trat dem offiziellen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) bei und wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Nach dem Waffenstillstand der offiziellen IRA 1970 verließ er die Organisation, seine politische Einstellung hatte sich geändert. „Er war gegen jede Form der Gewalt“, sagt sein Kollege Hugh Jordan. „Er wollte dazu beitragen, die paramilitärischen Gewalttaten zu beenden.“
Es waren aber nicht nur die Loyalisten, jene extremen Protestanten, die sich auch mit Gewalt für die Union Nordirlands mit Großbritannien einsetzen, die ihn hassten, sondern auch die Unionisten, die dasselbe Ziel mit angeblich friedlichen Mitteln erreichen wollen. O‘Hagan war einer der Zeugen für den Dokumentarfilmemacher Sean McPhilemy, der die Sunday Times wegen Verleumdung verklagt hatte. Die Zeitung hatte ihn beschuldigt, Filmmaterial gefälscht zu haben. McPhilemy hatte einen Film über „The Committee“ gedreht, eine Geheimloge, der führende unionistische Politiker bis hin zu Unionistenchef David Trimble angehören sollen. Dieses „Komitee“ soll Morde an Katholiken organisiert haben. Die Jury sprach McPhilemy, nicht zuletzt dank O‘Hagans Aussage, im März 145.000 Pfund Schadensersatz von der Sunday Times zu.
O‘Hagans Heimatort Lurgan gehört zum Wahlkreis von David Trimble, der zurzeit in Berlin ist. Er sagte gestern: „Polizeichef Ronnie Flanagan hat die Pflicht, den Nordirlandminister John Reid zu beraten, damit er gegen diejenigen vorgehen kann, die den Waffenstillstand gebrochen haben. Bisher ist Flanagan dieser Pflicht nicht nachgekommen.“
RALF SOTSCHECK
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