Die Beweise bleiben geheim

Die Nato stellt fest, dass der Bündnisfall eingetreten ist. Auf welchen Informationen dieses Urteil beruht, will Generalsekretär Robertson nicht sagen

von ERIC CHAUVISTRÉ

Kaum ist der Eintritt des Bündnisfalls offiziell bestätigt, da bitten die USA ihre Verbündeten auch schon um Unterstützung. Washington habe eine Liste mit konkreten Hilfswünschen vorgelegt, bestätigte ein Nato-Sprecher gestern Nachmittag in Brüssel. Die Liste enthalte Wünsche sowohl für militärische Aktionen als auch für indirekte Hilfe. Einzelheiten wollte der Sprecher jedoch nicht nennen.

Berichten zufolge hat Washington aber keine Frist für die Zusage der ersuchten Hilfen gesetzt. Auch sind die Anfragen offenbar nicht an einzelne Mitgliedsstaaten gerichtet.

Erst am Dienstag hatte der Nato-Rat den Eintritt des Bündnisfalls festgestellt. Nato-Generalsekretär George Robertson erklärte nach der Sitzung, die von den USA vorgelegten Informationen wiesen eindeutig auf eine Beteiligung Ussama Bin Ladens und seiner Organisation al-Qaida an den Anschlägen vom 11. September hin (siehe Kasten). Es stehe nun fest, dass die Anschäge von außerhalb der USA gesteuert wurden.

Der US-Sonderkoordinator für Terrorismusabwehr, Frank Taylor, trug dem Nato-Rat die Ergebnisse der bisherigen US-Ermittlungen vor. Diese Unterichtung habe sich auch auf die Verbindungen zwischen al-Qaida und dem Taliban-Regime in Afghanistan bezogen, sagte Robertson. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes war die Bundesregierung vorab über die von den USA in Brüssel vorgelegten Informationen unterrichtet.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bekräftigte im Anschluss die Bereitschaft der Bundesregierung zu „militärischem Beistand“. Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) sagte, es müsse noch geklärt werden, „wann und an welchem Ort welche Fähigkeiten der Bundeswehr gebraucht werden“.

Grundsätzlich hatte der Nato-Rat das Vorliegen des Bündnisfalls bereits vor drei Wochen festgestellt. Dieser Beschluss solte allerdings nur für den Fall gelten, „dass der Angriff von außerhalb gesteuert wurde“. Nach der Vorlage des Beweismaterials durch die USA sieht die Nato diese Bedingung als erfüllt an. Die Anschläge gelten jetzt als „bewaffneter Angriff“ auf die USA und damit – nach Artikel 5 des Nato-Vertrags –als Angriff auf das Bündnis als Ganzes.

Welche Dokumente die USA im Einzelnen vorlegten, wollte Robertson nicht mitteilen. Die Unterrichtung sei geheim gewesen.

Auch die Bundesanwaltschaft hatte am Dienstag offenbar noch keinen Zugang zu den Informationen. Bislang sei eine Verbindung Bin Ladens oder anderer Hintermänner zu den Hamburger Todespiloten nicht gefunden worden, sagte ein Sprecher in Karlsruhe. „Vielleicht hat die Nato andere Informationen als wir. Wir haben diese Belege nicht.“

Die Behörde bemühe sich aber um einen Zugang zu den Beweisdokumenten. „Sollte sich aus diesen Unterlagen Neues ergeben, wird dies die Ermittlungen verändern.“ Bisher stehe lediglich fest, dass das Netzwerk einen radikal-islamischen Hintergrund habe.

Mit der Festellung des Bündnisfalls durch die Nato tritt in Deutschland nicht der im Grundgesetz beschriebene Verteidigungsfall ein. Dazu müsste ein direkter Angriff auf das Territorium der Bundesrepublik stattfinden.

Auch über eine Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Aktionen der USA ist mit der Festellung des Bündnisfalls noch nicht entschieden. Über einen Einsatz deutscher Truppen muss in jedem Fall der Bundestag abstimmen. Umstritten ist, ob die Regierung diese Zustimmung auch nach Beginn eines Einsatzes einholen kann.

Ob sich Bundeswehreinheiten an einer US-Aktion beteiligen, ist nach wie vor unklar. Als wahrscheinlichere Option gelten indirekte Formen der militärischen Unterstützung. Und bei der Gewährung von Überflugrechten für US-Militärmaschinen oder der Nutzung amerikanischer Basen in Deutschland hat das Parlament ohnehin kein Mitspracherecht.