: Enteignung für die Demokratie
Thesen zum PDS-Parteitag: Die Globalisierung hat die Spaltung in große Konzerne und kleine Betriebe weiter vertieft. Vergesellschaftungen wären der Demokratie zuträglich
Der transnationale Aktionsradius der Konzerne und der unregulierte Kapitaltransfer schaffen eine politische Allmacht, die eine noch nie da gewesene Globaldiktatur aufschimmern lässt. Wer Standorte gegeneinander ausspielen kann, wer darüber entscheidet, wo Betriebe ausgebaut oder geschlossen, wo Arbeitsplätze erhalten oder vernichtet werden, welche Währung steigt und welche ruiniert wird, welcher Tropenwald zur Wüste, welches Gebiet durch Hunger, Bürgerkrieg oder Seuchen entvölkert wird – der kann die eigenen Interessen politisch und militärisch, auf der Erde und im All durchsetzen.
Dem kommt die enge Verflechtung von staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen entgegen. Lobbyisten großer Konzerne prägen die Arbeit der Gremien der Europäischen Union in Brüssel wie die der nationalen europäischen Parlamente. Interessensvertreter der Großunternehmen hatten auch die Federführung bei den Verträgen von Maastricht und Amsterdam und dem von dort eingeführten Privatisierungsdruck.
Die Internationalisierung hat nationale Politik nicht machtlos gemacht, aber eine Re-Regulierung der transnational operierenden Monopole erschwert. Es bedarf einer neuartigen Bündnispolitik, die die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nach links verschiebt. Projekte der nationalstaatlichen Gegensteuerung wären eine Devisenumsatzsteuer („Tobintax“), Kapitalverkehrskontrollen – wie in Chile erfolgreich praktiziert – und Zölle, wie sie Ex-Finanzminister Lafontaine und Ex-US-Arbeitsminister Reich gefordert haben.
Die Spaltung in marktbestimmende Konzerne und Großbanken auf der einen Seite und in kleine, mittlere Unternehmen auf der anderen hat sich weiter vertieft. Während die Kleinen sich zumeist in harter Binnenkonkurrenz um niedrigste Preise behaupten müssen, kooperieren Monopole transnational in strategischen Allianzen, diktieren Zulieferern und Abnehmern die Preise und bürden Staat und Gesellschaft – sowie den nächsten Generationen – ihre sozioökologischen Vor-, Ent- und Nachsorgekosten auf. Auch dadurch bleiben Versorgerkonzerne wie Aldi im Preis unter Kleinhändlern und -produzenten, gehen Gewinnrekorde mit jährlich steigenden Insolvenzzahlen einher.
Die Deregulierung der Arbeitsmärkte bedeutet wachsende Tarif-Flexibilisierung und Leistungsdruck. Jedes sechste europäische Arbeitsverhältnis ist heute befristet. Staatliche Steuergeschenke an die Fusionierer und deren Steuerflucht lassen die öffentlichen Kassen verarmen.
So bekommt der Allianz-Konzern allein im Jahr 2001 durch Eichels Steuerreform rund 4,3 Milliarden Mark geschenkt. Das Bruttoinlandprodukt stieg von 1992 bis 1998 um schlappe 22,1 Prozent, während sich das Geldvermögen um 99,9 Prozent vermehrte. Wo private Vermögen so viel schneller wachsen als das Wirtschaftswachstum, bedeutet das einen monströsen Überschuss an Kapital, das sich nicht real und produktiv anlegt.
So ist eine beispiellose Pyramide fiktiven Kapitals entstanden. Obgleich virtuell, konzentrieren sie Macht in den Händen ihrer monopolkapitalistischen Dirigenten – Großbanken, Brokerhäuser, Fonds, Versicherungen, Großkonzerne der verschiedenen Branchen. Dies bedeutet ständige Crash-Anfälligkeit. Abrupte Umschichtungen aus Wertpapierfonds und Währungen können verheerende realwirtschaftliche Folgen haben und ganze Volkswirtschaften in die Zahlungsunfähigkeit treiben, wie die Krisen in Südostasien, Brasilien, Russland und in der Türkei gezeigt haben.
Wer jetzt allzu selbstgewiss nicht- und nach-kapitalistisches Wirtschaften ausschließt, dem sei die Vision einer Deutschen Bank vors innere Auge gerufen, die öffentlich rechtlich würde. Ähnlich dem WDR säßen dann aber in den dortigen Aufsichtsräten nicht raffgierige Value-shareholder, sondern Greenpeace, Amnesty oder Attac neben Kirchen, Gewerkschaften, und Sportverbänden. Die Hollywood-Konkurrentin „Bavaria“ in Geiselgasteig als Rundfunktochter, so wie öffentlich rechtliche, erfolgreiche Konzerne in Frankreich zeigen: Auch vergesellschaftete Unternehmen können wirtschaftlich arbeiten und sind der Demokratie zuträglicher als Daimler und Großbanken.
Nötig wird ein neuer historischer Schnitt von links ins Unternehmerlager. Dabei soll das Gewinninteresse noch für lange Zeit als Motiv für Kreativität, „check and balance“ und betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Ermittlung anerkannt werden. Doch Monopolkapital, das notwendigerweise strategisch von Hunger, Krieg, Klimakatastrophe und Massenarbeitslosigkeit profitiert, ist in Übereinstimmung mit unserem Grundgesetz zu enteignen. Das bedeutet allerdings, dass es dafür eine Mehrheit geben muss.
Zentrale Weggefährten zu mehr Wirtschaftsdemokratie bleiben DGB-Gewerkschaften und Kirchen. Bündnispolitisch immer wichtigere Ansprechpartner werden, auch numerisch, die Klein- und Mittelständischen Unternehmen sowie Freiberufler und Gewerbetreibende. Die Linke sollte sogenannte Scheinselbständige ebenso wenig verspotten wie andere „Kleinbürger“, sondern sogar verstärkt deren Zugang zu den Sozialversicherungen fordern – freiwillig zu einer staatlichen Arbeitslosenversicherung und generell zur Rentenversicherung analog zur Künstlersozialkasse KSK.
Die Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, mittels stiller Beteilung für Existenzgründer-Darlehen zu bürgen. Das Land hat die öffentlich-rechtlichen Sparkassen ausdrücklich für diese Rolle zu stärken, statt sie –wie in Europa oder regional wie in Berlin – zum Abschuss freizugeben. Regionale Förderagenturen der öffentlichen Hand entscheiden nach gesellschaftlichem, ökologischem, kulturellem und volkswirtschaftlichem Nutzen, inwieweit Unternehmen kreditwürdig sind.
Die Linke muss zudem die Wiedereinführung der kommunalen Investitionspauschale fordern, was es den Gemeinden ermöglichte, eine lokal gezielte Wirtschaftsförderung wieder zu beleben. Fördermilliarden gehören nicht länger zu Siemens, sondern in die kleinen und mittleren Unternehmen in infrastrukturschwacher Regionen.
Der Förder-Richtlinien-Dschungel muss radikal beschnitten werden. Für kleine und mittlere Unternehmen ist die Einkommens- und Umsatz-Sollbesteuerung erst bei Zahlungseingang und nicht schon mit Rechnungsstellung zu erheben, bei unverschuldeter Insolvenz sollte die Steuerstundung gelten. Für lohnintensive und ökologische wichtige Handwerks- und mittelständige Betriebe ist die Mehrwertsteuer zu halbieren.
Waren die Kleinunternehmen weitgehend auf Binnenkaufkraft, Einhaltung von Tarifverträgen, nationalen Abgabe- und Sozialverordnungen angewiesen, so bedeutete ihre monopolkapitalistische Verdrängung eine weitere Entsozialisierung von Eigentum. Sämtliche kommunistischen Parteien der Welt haben nicht annähernd soviel Klein- und Mittel-Besitz enteignet wie das Monopolkapital binnen weniger Jahre.
Gegen die enteignende Macht des transnational agierenden Monopolkapitals muss die Linke öffentlich erkennbarer stehen: bei den Arbeitenden und Arbeitslosen, bei den Kleinunternehmen und Genossenschaften, bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Geldinstituten, bei den sozial abzusichernden Selbständigen, für starke staatliche Unternehmen und einen freundlichen unternehmerischen Staat.
Als Karl Marx die Proletarier aller Länder aufrief, sich zu vereinigen, war dies zu Zeiten der Postkutsche. Niemand würde uns einst verzeihen, auch im Internetzeitalter unsere Kämpfe nicht vernetzt zu haben – zu einer echten „Unidad Popular Global“, für eine plurale, bunte Wirtschaft und gegen die graue Macht des großen Geldes.
DIETHER DEHM /
HORST HEININGER
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