: Senat übernimmt den Zirkus
Land Berlin rettet Tempodrom vor dem Ruin. Baukostenzuschuss in Höhe von fast 13 Millionen Mark sichert Fertigstellung. Betreiberin soll Stiftungsrat verlassen. PDS kritisiert mangelndes Controlling
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Mit einem Schweinchen ist Tempodrom-Chefin Irene Moessinger früher selbst in die Manege des Kulturzelts gestiegen. Jetzt hat sie wieder Schwein gehabt, auch wenn sie eine dicke Kröte dabei schlucken muss. Der Senat hat gestern beschlossen, mit einem Baukostenzuschuss in Höhe von 12,8 Millionen Mark das vom Konkurs bedrohte Neue Tempodrom zu retten. Die im Rohbau befindliche Arena am Anhalter Bahnhof, in deren Kalkulation eine Finanzierungslücke in Millionenhöhe klafft, kann nun bis zum 1. Dezember 2001 fertig gestellt werden. Zugleich entschied der Senat als Gegenleistung für die Finanzspritze, Moessinger im Vorstand des Stiftungsrats ablösen zu lassen. Die Tempodrom-Chefin soll damit wegen Fehlern im Baumanagement und zur besseren Kontrolle der öffentlichen Mittel in ihrer Funktion als Geschäftsführerin entmachtet werden.
Die Kosten für den spektakulären Neubau waren in den vergangenen Monaten wegen unrealistischer Kostenschätzungen bereits auf 43 Millionen Mark geklettert. Zusätzliche Sanierungs- und Bauleistungen erhöhten die Summe noch einmal um 12,8 auf 55 Millionen Mark. Der mit Fördergeldern und privaten Mitteln finanzierte Bau stand damit vor der Pleite. Von den über 12 Millionen Mark sollen 3,5 Millionen aus dem Etat der Bauverwaltung, der Rest aus Lottogeldern und Mitteln der Investitionsbank Berlin kommen.
Nach Ansicht von Bausenator Strieder (SPD) habe sich der Senat zur Unterstützung des Baus entschlossen, „um größeren finanziellen Schaden von der öffentlichen Hand abzuwenden“. Eine Stilllegung der Baustelle hätte bedeutet, dass das Land seine Bankbürgschaft in Höhe von 25 Millionen Mark fast vollständig verlieren würde. Außerdem verfielen bei einem Baustopp dem für Berlin wichtigen Kulturzelt die EU-Fördermittel in Höhe von 10 Millionen Mark.
Strieder wies darauf hin, dass die Zulage „nicht als Geschenk zu verstehen ist“. Bedingung sei gewesen, dass die private Stiftung Neues Tempodrom in die Verantwortung des Landes übergehe. Der Stiftungsrat soll künftig durch Vertreter des Senats und der Landesbank gestellt werden und einen neuen Vorstand berufen, der die Geschäftsführung übernimmt. Dieser solle als Betreiber die „Wirtschaftlichkeit“ des Hauses sichern.
Tempodrom-Chefin Moessinger, sagte der Senator, müsse aus dem Gremium ausscheiden. Sie habe „keine Wahl“ und behalte lediglich die Leitung der Tempodrom GmbH, die als Pächter auftritt. Sollte die Veranstaltungs-GmbH mit Zahlungen in Verzug kommen, sei eine Kündigung möglich. Das Neue Tempodrom werde „kein Subventionsempfänger“.
Moessinger wollte gestern der taz dazu keine Stellungnahme geben. Sie müsse die Senatsentscheidung noch prüfen. Kritik an „Wowereits Füllhorn“ äußerte dagegen Wolfgang Brauer (PDS). Baumaßnahmen mit öffentlichen Zuschüssen müssten von Anfang an besser kontrolliert werden. Dies sei kostengünstiger als hinterher „in die Bresche springen zu müssen“.
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