: Auf der Straße nur aus Angst?
■ Nach den Angriffen der USA auf Afghanistan gehen die Menschen auf die Straße – der Beginn einer neuen Friedensbewegung? Einer, der von Anfang an dabei war, sagt: „Jein.“
Zehntausende gehen in Berlin und Stuttgart auf die Straßen und demonstrieren gegen den Krieg in Afghanistan – gibt es eine neue Friedensbewegung? „Jein“, antwortet Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum. Einerseits ja, weil sich nach den Terroranschlägen und den Angriffen auf Afghanistan plötzlich „viel mehr Leute mit Fragen um Frieden, Rüstung, Terrorbekämpfung beschäftigen“. Andererseits nein, weil „die Grundstrukturen immer vorhanden waren“. Die Friedensbewegung hat es immer gegeben, nur findet sie erst in Krisenzeiten richtig großen Zuwachs und „profitiert“ damit paradoxerweise vom Krieg.
„Eine neue Angstbewegung“ nennt es ein Mann, der mit einer Mahnwache auf dem Bremer Marktplatz gegen den Krieg demonstriert, die Leute „kommen immer, wenn es gebumst hat – und dann ist es vorbei und die Leute sind weg“, meint er. Klaus Rainer Rupp, Chef der Bremer PDS, hat hingegen die Hoffnung, dass es diesmal auch längerfristig etwas werden könnte mit der neuen alten Friedensbewegung. Während früher die Leute „mit der Salamitaktik an militärische Interventionen herangeführt wurden“, sei man jetzt in einer Situation, wo sich das Gefühl breit mache, die Welt könne „aus den Fugen geraten“, so Rupp.
Insgesamt nimmt die Zahl der Friedensbewegten seit der Jugoslawien-Krise zu, meint Helga Garde, die zum harten Kern der Demons-trierenden zählt. „Damals erlebten wir viel Zustimmung, die Menschen hatten aus dem Golfkrieg gelernt.“ Die Sinnlosigkeit des Krieges, die Manipulation durch die Medien, die Lügen der Politiker – all das habe die Menschen zum Nachdenken gebracht, so Garde. Viele ehemalige Mitstreiter, die zum Teil über Jahre nichts von sich hätten hören lassen, seien nun wieder aktiv geworden. „Ich sehe hier neue, aber auch viele bekannte Gesichter“, meint auch Joachim Fischer von der deutschen Friedensgesellschaft. Aber auch Jugendliche gehen seit dem 11. September verstärkt auf die Straße. Sebastian Dolezalek von der Bremer GesamtschülerInnen-Vertretung (GSV) hofft, dass das auch so bleibt. Die GSV hat einen Anti-Kriegs-Arbeitskreis gegründet, der unter anderem eine Diskussionsveranstaltung und eine Großdemo organisieren soll.
Das Ende der Generation Fun? Ist der angeblich entpolitisierten Jugend doch nicht mehr alles egal? Ist es wohl, meint Torben Fojuth, einer von etwa fünf Jungen, die sich für eine Stunde zu den etwa 25 mahnwachenden älteren Menschen gesellt haben, um für Frieden und Gerechtigkeit im wahrsten Sinne einzustehen. Er habe die Erfahrung gemacht, dass das Interesse seiner Altersgenossen über „oberflächliche Zehn-Minuten-Gespräche“ nicht hinausgehe. Markus, Stefan und Niki, die sich auch dazugesellt haben, vermuten sogar, dass die meisten Jugendlichen bei den Terrorangriffen und den Gegenangriffen der USA eher an Actionfilme aus Hollywood denken als an eine schreckliche Tragödie.
Gar nicht wahr, glaubt Helga Garde. Sie hat in den vergangenen Tagen viele besorgte, aufgeregte Jugendliche erlebt. Ihr Eindruck: „Die lassen sich nichts vormachen. Sie durchschauen das Ganze politisch und sehen die Zusammenhänge“.
Doch die Ratlosigkeit, welches Vorgehen denn nun das richtige sei, ist den Alten und den Jungen gemeinsam. Nach den aktuellen Ereignissen sehen sich auch die traditionell Friedensbewegten vor neue Fragen gestellt, „auf die wir neue Antworten finden müssen“, meint Lentz. Plötzlich gibt es keine einfachen Lösungen mehr, auch innerhalb der eigenen Reihen erlebt er Auseinandersetzungen. „Wir sind uns alle einig, dass militärische Aktionen keine Lösung bringen“, beschreibt Garde die Verunsicherung, „aber trotzdem muss irgendetwas gegen den Terrorismus unternommen werden.“
Vivien Mast
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