: Grüne Grenzen zwischen oben und unten
■ Die Berliner Regierungsverantwortung zwingt auch die Bremer Grünen-Funktionäre, sich zum Krieg zu positionieren. Dabei landen sie weit ab von pazifistischen Gewissheiten der Basis
Der grüne Landesvorstandssprecher Klaus Möhle sprach aus, was alle spürten: „Die Spaltung der Partei ist nicht mehr senkrecht, zwischen Realos und Fundis, sondern quer: zwischen den Funktionären und der Basis.“ Die gesamte Partei scheint eine drohende deutsche Kriegsbeteiligung allerdings nur mäßig umzutreiben. Nur 25 Menschen waren am Donnerstagabend zur „Gesprächsrunde zur innen- und außenpolitischen Lage“ ins Konsul-Hackfeld-Haus gekommen, davon nur drei Bürgerschaftsabgeordnete. Die Wogen schlagen nicht mehr so hoch wie noch zu Kosovo-Zeiten.
Dabei liegen die Konfliktfragen auf dem Tisch, spätestens seit Claudia Roth eine Aussetzung der Bombardements gefordert hat – auch innerhalb der Bürgerschaftsfraktion. Karin Krusche zum Beispiel verteidigte den Beschluss der Bremerhavener Mitgliederversammlung. Darin wird den USA die „bedingungslose Solidarität“ gekündigt und vor einer „humanitären Katastrophe“ gewarnt, falls die Luftschläge gegen Afghanistan fortgesetzt würden. Eine Formulierung, die Krusches Fraktionskollegen Hermann Kuhn die Zornesröte ins Gesicht trieb: Eine „gottserbärmliche Verdrehung“ der Fakten sei das. Das Land leide seit Jahren Hunger. Die Bevölkerung könne nun nur durch den Einsatz von Bodentruppen geschützt werden.
Die Forderung der Bürger-schaftsfraktion nach „zumindest“ vorübergehender Aussetzung der Bombardements steht auf tönernen Füßen, Kuhn machte einen Rückzieher: „Ich habe nur aus good will mitgestimmt“, sagte er; jeder habe unter der Erklärung etwas anderes verstanden. Regelrecht „übel“ werde ihm, wenn intern zugegeben würde, dass die Grünen einen Bombenstopp nur wegen der Wahl in Berlin fordern. Karoline Linnert fand solche Deutungen „Blödsinn“. Sie bekräftigte, die Luftangriffe müssten ausgesetzt werden – schließlich gingen den Angreifern schon die Ziele aus. Dennoch, die Fraktionssprecherin ist dafür, „Bin Laden mit militärischen Mitteln einzufangen, das Taliban-Regime zu zerschlagen“, und sogar für „eine Art Protektorat“, wie in Deutschland nach 1945. Auch anderswo auf der Welt seien Protektorate nötig, so Linnert, „und ich möchte nicht, dass die USA das alleine machen.“
Christina Bremme konterte, es sei befremdlich, dass, seit die Grünen regieren, immer irgendwo die Menschenrechte verteidigt werden müssten. Bei jetzigem Kenntnisstand, so die Anwältin, würde kein demokratisches Land Ussama Bin Laden ausliefern. Der Mangel an Informationen betrifft alle – Parteichef Möhle plauderte zwar ausgiebig aus dem Berliner Nähkästchen, klagte aber abschließend: „Man erfährt ja nichts.“ Das, und pauschaler Antiamerikanismus-Verdacht habe zu Sprachlosigkeit geführt.
Nicht bei allen: „Nach zwei Stunden hatten die Amerikaner einen Schuldigen“ sagte ein alter Mann ungläubig. „Ich glaub' den Amis nicht so schnell“, ein anderer Kriegsgegner. Und: „Wir messen mit zweierlei Maß: Die USA schweigen zur israelischen Siedlungspolitik!“ Gegen solche emotionalen Debattenbeiträge setzte Konfliktforscher Ulrich Schneckener die sachliche Erklärung, warum nun der Einsatz von Bodentruppen „Pflicht“ sei: „Sonst wären die Bombardements sinnlos gewesen.“ Fazit: Ohne militärische Maßnahmen kommt man nicht aus. Wieder war es Hermann Kuhn, der diese Position zuspitzte: „Wenn wir den Terrorismus nicht ausrotten, werden wir das später bitter bereuen.“
Diesmal wurde es dem Pazifisten Uwe Helmke „schlecht“. Aber der alte Kämpe ist ja schon im Kosovo-Krieg bei den Grünen ausgetreten. Vorgestern tauchte er wie ein Menetekel noch einmal auf. Karoline Linnert deutete: „Partei und Führung der Grünen klaffen auf eine Weise auseinander, die uns den Kopf kosten kann.“ Jan Kahlcke
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