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berlin-wahlen, der erfolg der pds, bayrische folklore etc.Narzisstische Kränkung des Westens hin oder her: Die Berlin-Wahl hat gezeigt, dass der Osten der Stadt vor allem mit den Muskeln spielt

Auf der Überholspur

Wenn mit Diepgen und Landowsky die alte, gemütlich-provinzielle und korrupte Frontstadt Westberlin symbolisch endgültig abgetreten ist, dann lässt sich mit dem geflügelten Wowereit-Wort nur sagen: Und das ist gut so. Dieser Abgang war lange überfällig. Ob der rasante Aufstieg der PDS aber genauso überfällig war, wie diejenigen meinen, die nun maliziös von einer narzisstischen Kränkung des konservativen Westberlin sprechen, ist nicht ganz so sicher. Vom Osten aus gesehen mag das so sein. Hier wurde die narzisstische Kränkung ja zuerst verortet. Weswegen in der PDS auch immer wieder die CSU Ostdeutschlands gesehen wurde, das Quasi-Einparteiensystem eines starken Abgrenzungsbedürfnisses; Folklore nach dem bekannten tautologischen Muster „Mir san mir“.

Jetzt allerdings mit knapp 23 Prozent in Gesamtberlin, heißt die Parole wohl eher „Wer ko, der ko“. Welche Worte ein Münchner Brauerkönig zum bayrischen König gesagt haben soll, als er mit seinem Sechsspänner an dessen Vierspänner vorbeizog. Jetzt ziehen die Ostberliner also an den Westberlinern vorbei, und wählen zu 48 Prozent die PDS.

Nicht weil sie die Zukurzgekommenen wären, wie Gottfried Benn sagte, die Huster und Henkelohren, sondern weil sie die modernere Stadt haben, mit der neueren und also auch besseren Infrastruktur, mit den schicken, frisch restaurierten und renovierten In-Vierteln samt ihren Backfabriken für die junge urbane Geschäftswelt. Hier kann jetzt das Eigene mit dem smarten Frontmann Gysi erst recht verteidigt werden. Aber nicht nur der neu sanierte Osten, sondern auch so genannte junge, hippe Linke im Westen der Stadt, tatsächlich aber schlicht Erstwähler, glauben zu 14,5 Prozent, die PDS vertrete nicht nur die in technischem Sinne fortschrittlichere Stadt, sondern auch das fortschrittlichere Programm. Doch da sind Zweifel erlaubt.

So erhoffen beispielsweise Studenten von der PDS mehr Geld für Bildung und neue Konzepte für Unterricht und Wissenschaft. Doch es macht nachdenklich, dass der ehemalige Rektor der Universität Greifswald, Jürgen Kohler, von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, das im SPD-PDS-beherrschten Landtag von Mecklenburg-Vorpommern in erster Lesung behandelte neue Hochschulgesetz für „planwirtschaftlich und rückständig“ hält. Wie überhaupt Meck-Pomm und das PDS-tolerierte SPD-Land Sachsen-Anhalt die schwächste Performance aller neuen Bundesländer abgeben, was den wirtschaftlichen und kulturellen Aufbau angeht. Das spricht nicht gerade für Rot-Rot in einem armen Land wie Berlin.

Natürlich hat die PDS von Afghanistan profitiert. Die 20 Prozent plus wären ohne die amerikanische Antwort auf die Terroranschläge nie zustande gekommen. Wobei für die Friedfertigen in der PDS gilt: dass der ganze Schlamassel in Afghanistan mit dem Einmarsch der Sowjetunion begann – geschenkt. Dass es jetzt die USA sind, die dort bombardieren, ist dagegen schon ein Grund, die Reihen hinter der Friedensfahne fest zu schließen. Es geht tatsächlich um eine gravierende Differenz zwischen West und Ost in der Weltwahrnehmung. Diese Differenz trifft die Grünen selbstredend am meisten, denn nicht nur zu den USA, sondern eben zu den speziellen Themen der Grünen wie Atomkraft oder Agroindustrie hält der Osten auf Distanz. Und bei Migration als Metropolenthema sollte man sich bei Rot-Rot in Berlin auch nichts erhoffen. Der Politikwechsel, der mit dem PDS-Wahlerfolg einhergeht, mag eine Kränkung des Westens genannt werden, warum nicht. Denn selbstverständlich geht es um einen Bedeutungsverlust des Westens gegenüber dem Osten, und zwar nicht nur um einem symbolischen, das Wort von der Verostung ist keineswegs nur billige Rationalisierung. Wer ko, der ko, das wird sich Marzahn nicht wegdiskutieren lassen. Dazu ist die Partei und ihre Klientel schließlich mindestens so gut in die demokratische Geschäftsordnung integriert wie die CSU. BRIGITTE WERNEBURG

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