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Wir waren schon in den ersten Tagen überbelegt

In einer Villa im Grunewald wurde vor 25 Jahren das erste deutsche Frauenhaus eröffnet. Die Mitbegründerin Johanna Kootz erinnert sich

Bild und B.Z. haben damals spekuliert, ob man dort die Frauen zur Scheidung zwänge. Und, weil es so gut klang, Parallelen zwischen Frauenhaus und Freudenhaus gesucht. „Die Presse war voller Häme“, sagt Johanna Kootz, wenn sie sich an die Anfänge des ersten bundesdeutschen Frauenhauses erinnert. Am 1. November 1976 hatte sich die „Initiativgruppe Frauenhaus“ gegen alle Widerstände durchgesetzt: Im Grunewald richtete sie einen Zufluchtsort für misshandelte Ehefrauen und ihre Kinder ein.

Der Bedarf war groß. „Die ersten Frauen sind schon vor der offiziellen Eröffnung gekommen“, erzählt Johanna Kootz, die zur Initiativgruppe gehörte und zeitweise auch im Frauenhaus mitgearbeitet hat. Zugleich begleitete sie das zunächst als Modellprojekt angelegte Haus als Soziologin wissenschaftlich. Sie erinnert sich, dass es zum Teil „ganz alte“ Frauen waren. Frauen, die jahrelang die Misshandlungen ihrer Ehemänner ertrugen, weil sie keinen Ort zur Flucht hatten.

„Gewalt innerhalb der Familie war damals ein Tabu“, sagt Johanna Kootz. Die Familie galt als Hort des Friedens, und war sie es nicht, so wurde das schamhaft verschwiegen; von allen Seiten. Die Betroffenen gingen nicht an die Öffentlichkeit, und die Außenwelt übersah bereitwillig die Spuren häuslicher Gewalt. Ärzte fragten bei auffälligen Verletzungen nicht nach, und die Polizei agierte nach dem Motto: „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.“ Deshalb machte die Öffentlichkeitsarbeit fast die Hälfte der Arbeit der Fraueninitiative aus. „Gängiges Vorurteil war, dass so etwas nur in den unteren sozialen Schichten passierte. Aber zu uns kamen Frauen aller Schichten. Auch Berufstätige.“

Das Frauenhaus konnte in seinem ersten Jahr 70 Plätze in der Villa mit den 13 Zimmern anbieten. Elf Mitarbeiterinnen kümmerten sich um die Hilfesuchenden. Außerdem halfen viele Ehrenamtliche. „So professionalisiert wie heute, mit speziellen Schulungen für die Mitarbeiterinnen, war das nicht“, erinnert sich Johanna Kootz. Auch die Kinder wurden damals noch nicht so umfassend betreut, wie heute in den Frauenhäusern. Der Grundgedanke allerdings – Hilfe zur Selbsthilfe – war damals der gleiche, so wie sich auch die Probleme nicht verändert haben.

Im Frauenhaus sollten die Hilfesuchenden erfahren, dass sich Frauen wehren und gegenseitig helfen können. Bei praktischen Fragen wie Behördengängen, Wohnungswechsel und Arbeitsplatzsuche. Und bei den schwierigeren Problemen wie dem verletzten Selbstbewusstsein. „Die Hilfe zur Selbsthilfe war auch ein Balanceakt. Wir haben uns immer wieder gefragt, inwieweit die Frauen ihre eigenen Erfahrungen machen mussten. Oder ob sie psychologische Hilfe von uns brauchten“, sagt Johanna Kootz. Dabei war ein Standpunkt immer klar: Nicht die Frauen, sondern die gewalttätigen Ehemänner wurden als defizitär betrachtet. „Manches passte aber auch nicht in die Wunschliste der Mitarbeiterinnen.“ Da waren die vielfachen Trennungsversuche der misshandelten Frauen, die dennoch nach ein paar Tagen zu den prügelnden Gatten zurückkehrten. Da war die Erfahrung, dass die Gewalt Spuren auch in den Verhaltensweisen der Frauen hinterließ und häufig weitergegeben wurde. „Aber das Zusammenleben hat erstaunlich gut geklappt.“ Erstaunlich vor allem angesichts der Doppelbelastung der Frauen, die zugleich die Erfahrungen verarbeiten und die neue Situation im Frauenhaus meistern mussten.

Probleme gab es vor allem von außen. „Sicherheit war ein großes Thema“, erinnert sich Johanna Kootz, weil viele Männer versucht haben, Kontakt zu ihren Frauen aufzunehmen. Ein anderes Problem waren die Nachbarn im vornehmen Grunewald: „Viele haben das Frauenhaus als Wertverlust für die Gegend verbucht“. Mit der Zeit haben sich aber auch die Grunewalder an die neuen Nachbarn gewöhnt. Die Schulen in der Umgebung bemühten sich, die Kinder aus dem Frauenhaus in ihre Klassen aufzunehmen. Das Haus war voll und manchmal auch überbesetzt. „Zum Teil kamen die Frauen sogar aus Westdeutschland“, sagt Johanna Kootz. Das war einer der Gründe, weshalb das erste autonome Frauenhaus so schnell Schule machen konnte: 1979 wurde das zweite Berliner Frauenhaus eröffnet.

FRIEDERIKE GRÄFF

interview SEITE 8

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