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An der Brücke zum Krieg

In der strategisch wichtigen Stadt Termes ist die Grenze zu Afghanistan dicht. Es sollen bloß keine Flüchtlinge kommen, sagen die Usbeken

aus Termes JÜRGEN GOTTSCHLICH

Der Weg nach Afghanistan endet vor einem Holztisch. Ein alter wackeliger Holztisch, mitten auf der Straße platziert, an dem ein einsamer Polizist Platz genommen hat. Von seinem Tisch aus schaut der Uniformierte direkt auf ein Straßenschild mit dem Namen „Hairaton – 2 km“. Hairaton ist die afghanische Grenzstadt auf der anderen Seite des Flusses und wäre mit dem Auto in wenigen Minuten zu erreichen.

Doch seit mehr als vier Jahren hat kein Fahrzeug mehr diesen Weg passiert. Die berühmte „Brücke der Freundschaft“ über den Amu Derya wurde im Mai 1997 geschlossen, und im Moment sieht es nicht so aus, als würde sich in nächster Zeit daran etwas ändern.

Auch für uns macht der Polizist keine Ausnahme. Nicht mal ein paar Schritte auf die Brücke zu sind erlaubt, geschweige denn, ein Foto zu schießen. Sämtliche Sicherheitskräfte in der usbekischen Grenzstadt Termes sind in erhöhter Alarmbereitschaft, seit vor vier Wochen das amerikanische Bombardement auf Afghanistan begann. Es wimmelt von Militär, Grenztruppen und Polizei, an jeder Ecke werden Pässe kontrolliert.

Vorboten des Krieges

Der Krieg soll auf der anderen Seite des Flusses bleiben, einschließlich der Flüchtlinge. „Wir wollen hier keine Zustände wie in Pakistan“, hört man in Termes an jeder Ecke. Bislang hat das geklappt. Termes ist weit entfernt von Zuständen wie in der pakistanischen Grenzstadt Peschawar, vor denen es den Leuten hier graust. Das soll auch so bleiben, und deshalb bleibt die Brücke zu.

Die sichtbarsten Vorboten des Krieges in Termes sind bislang die internationalen Journalisten, die in Scharen in die verschlafene Grenzstadt einfallen und deshalb denkbar unbeliebt sind. „Warum hast du die überhaupt hierher gebracht?“, herrscht der Hüter der Brückenauffahrt den Taxifahrer an, der beteuert, er habe doch nicht wissen können, dass er Journalisten befördere.

Eigentlich wundert man sich hier, dass der usbekische Präsident Islam Karimow ausländischen Beobachtern überhaupt Zugang zur Stadt gestattet hat. Bis vor ein paar Jahren war Termes noch eine „geschlossene Stadt“. Alles hier erinnert daran, dass hier einst eine sowjetische Garnison saß. Vor der zentralen Kaserne mitten in der Stadt sind, wie als ein Mahnmal für die USA, Panzer und Kanonen aufgestellt, die die Rote Armee in ihrem Afghanistan-Krieg eingesetzt hatte. Über die jetzt geschlossene Brücke der Freundschaft marschierte der größte Teil der motorisierten Sowjettruppen 1979 nach Afghanistan hinein und zehn Jahre später geschlagen wieder hinaus. Der sowjetische Oberkommandierende General Gromow ließ sich auf der sowjetischen Seite der Brücke von seinem Sohn mit einem Blumenstrauß empfangen – der Eindruck einer geschlagenen Armee sollte so vermieden werden.

Dass Termes nun, zwölf Jahre später, erneut zu einem wichtigen Punkt auf der politischen Landkarte werden könnte, hat mit seiner Geografie zu tun. Entlang der fast 2.000 Kilometer langen Grenze, die die drei zentralasiatischen Länder Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan mit Afghanistan teilen, ist Termes das ideale Tor zum Hindukusch. Im Gegensatz zu Tadschikistan, wo die gesamte Grenze sich durch eine unwegsame Bergregion zieht, liegt Termes bereits in den Ausläufern der Karakum-Wüste. Und während auf turkmenischem Gebiet kaum eine befestigte Straße durch die Wüste nach Afghanistan hineinführt, beginnt an der „Brücke der Freundschaft“ eine gut ausgebaute Straße, die über die nördliche afghanische Provinzhauptstadt Masar-i Scharif bis nach Kabul führt. Diese Straße ist der Hauptgrund, warum US-Bomber das von Termes nur 60 Kilometer entfernt liegende Masar-i Scharif bombardieren, in der Hoffnung, die Verteidigungsstellungen der Taliban so weit sturmreif zu schießen, dass dieTruppen der Nordallianz unter dem Kommando des Usbeken-Generals Dostum die Stadt endlich einnehmen können.

Ein brüllender General

Gestern vermeldete die Nordallianz immerhin wichtige Geländegewinne bei ihrer Offensive auf Masar-i Scharif unterstützt wurden die Truppen dabei von der US-Luftwaffe (siehe Seite 4). Gleichwohl klagte General Dostum dieser Tage über Satellitentelefon über mangelnde Unterstützung. Er verlangt mehr Munition, Schuhe und Wintermäntel für seine Truppen. „Wie sollen wir sonst kämpfen?“, brüllte er einem italienischen Reporter in Termes via Satellit zu und ließ die US-Propaganda damit als reinen Zweckoptimismus erscheinen.

Tatsächlich sind die USA ja auch dabei, mehr und mehr Bodentruppen nach Afghanistan zu bringen. Doch um in Afghanistan einen eigenen Stützpunkt einrichten zu können, bräuchte die US-Army Masar-i Scharif, weil nur dorthin ohne große logistische Probleme Nachschub gebracht werden könnte. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Dostum die Stadt erobert und Usbekistans Präsident Karimow die Erlaubnis gibt, die Brücke in Termes wieder zu öffnen. Bei seinem Besuch am letzten Wochenende scheint Rumsfeld in dieser Hinsicht nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein. Im Kommuniqué über das Gespräch mit Karimow wird ausdrücklich daran festgehalten, dass US-Truppen von Usbekistan aus nur humanitäre Einsätze ausführen dürfen. Gemeint sind damit Hubschraubereinsätze, um Spezialkommandos notfalls aus Afghanistan herausholen zu können.

Ausgangspunkt für die Einsätze ist der frühere sowjetische Luftwaffenstützpunkt Chanabad in unmittelbarer Nähe der Provinzstadt Kahrsi. Kahrsi ist eine völlig heruntergekommene typische sowjetische Industriestadt am Rande der Wüste, gut 200 Kilometer von der afghanischen Grenze entfernt. Die meisten Plattenbauten sind bereits im Verfallsstadium und ehemalige Industrieareale wirken wie gigantische Schrottplätze. Auch der Stützpunkt dürfte nicht viel besser aussehen. Doch es ist unmöglich, das Gelände selbst in Augenschein zu nehmen, weil das usbekische Militär es abgeriegelt hat. „Sie können in Taschkent beim obersten Militärkommando um Erlaubnis zur Durchfahrt nachfragen, doch bisher ist noch kein Journalist von dort zurückgekommen“, höhnt der wachhabende Offizier in bestem Sowjetstil – mit westlichen Reportern hatte Usbekistan seit seiner Unabhängigkeit vor zehn Jahren noch wenig zu tun.

Der US-Stützpunkt

Die eigene Presse hat sich seither überhaupt nicht verändert und auch Präsident Islam Karimow ist seinen Untertanen ja schon als Chef der Sowjetrepublik Usbekistan bekannt. Offene Meinungsäußerungen sind in Usbekistan bis heute nahezu unbekannt. Auf die Frage, was sie denn davon halten, dass plötzlich die Soldaten der früheren Feinde in ihrer Stadt stationiert sind, zucken die Einwohner Karsis nur mit den Schultern: „Was soll man dazu schon sagen. Offiziell wissen wir ja auch von gar nichts.“

Für das US-Militär herrscht striktes Ausgehverbot und so hat kaum jemand in der Stadt einen der Amerikanisti gesehen. Nur ein paar Leute, die auf dem Stützpunkt arbeiten, erzählen von immer neuem Kriegsgerät, das auf dem Luftweg nach Chanabad geschafft wird. Die Zensur gegenüber allem, was mit den US-Soldaten im Land zu tun hat, schafft eine brodelnde Gerüchteküche: Wie viele Amerikaner gibt es, was wollen sie hier? Werden bald wieder Panzer durch Usbekistan nach Afghanistan rollen?

Für den größten Teil der usbekischen Bevölkerung ist Afghanistan unendlich weit entfernt. Die Einzigen, die schon einmal dort waren, sind die ehemaligen Soldaten der Roten Armee, die während des unseligen Krieges, in den sie die Kreml-Gerontokraten meist völlig unvorbereitet schickten, im Hindukusch verheizt wurden.

Einer von ihnen ist Boris Jemelnjanow, ein Hühne von einem Mann, der zwei Jahre lang am Salangpass in mehr als 2.000 Meter Höhe Dienst schieben musste. „Wir haben uns einen abgefroren“, erzählt er grinsend, aber immerhin ist er heil wieder herausgekommen. Viele Freunde von ihm hatten nicht so viel Glück. „Hinter jeder Ecke konnten Scharfschützen auftauchen, viele von uns wurden abgeknallt.“

Die Veteranen

Boris lebt heute in Samarkand und ist mit Hakim Tiljaew befreundet. Tiljaew ist Vorsitzender des Vereins der Afghanistanveteranen in Samarkand, dem größten in Usbekistan. Der Verein ist unweit des Stadtzentrums untergebracht, fast in Sichtweite der berühmten islamischen Koranschulen Samarkands. In einem Kellergeschoss, dessen Räumlichkeiten schon bessere Zeiten gesehen haben, sitzt er hinter einem großen amtlich wirkenden Schreibtisch und versucht den Eindruck von Geschäftigkeit zu verbreiten.

In seiner aktiven Zeit in Afghanistan gehörte Tiljaew zum Stab von General Gromow, eben demjenigen, der den Abzug der Sowjets aus Afghanistan leitete. Tiljaew diente als einer der Verbindungsmänner zur Regierung Nadschibullah, die die Russen bei ihrem Abzug in Kabul zurückließen. Über seine Erfahrungen in Afghanistan sagt er: „Ein Afghane kann dich freundlich angrinsen, und wenn du dich umdrehst, bekommst du ein Messer in den Rücken.“ Für General Dostum, der nun für die Amerikaner Masar-i Scharif erobern soll und der zu Hakim Tiljaews Zeiten in Afghanistan als Verteidigungsminister Nadschibullahs diente, hat er nur einen kurzen Kommentar übrig: „Ein Bandit.“

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