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„Im Krieg gibt es Regeln“

Völkerrechtler Michael Bothe zur Pflicht der Bundeswehr, sich nur an völkerrechtlich korrekten Einsätzen zu beteiligen

Interview CHRISTIAN RATH

taz: Ist die US-Militäraktion noch vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt, das der UN-Sicherheitsrat im Oktober akzeptiert hat?

Michael Bothe: Je länger ich das beobachte, um so mehr wachsen meine Zweifel. Die USA konzentrieren sich derzeit auf Schläge aus der Luft gegen die Militärstrukturen der Taliban. Ich sehe nicht, wie man so an die Gruppen herankommt, von denen die eigentliche terroristische Gewalt ausgeht.

Ziel der US-Aktionen ist ja nicht nur der Kampf gegen den Terrorismus, sondern auch gegen diejenigen, die Terroristen beherbergen . . .

Ja, so haben das die USA und Großbritannien mitgeteilt, und so hat das der Sicherheitsrat auch akzeptiert. Aber alle Maßnahmen müssen letztlich doch geeignet sein, den Terroristen die Basis zu entziehen. Angriffe, die nur auf die Beseitigung der Taliban-Herrschaft zielen, sind vom Selbstverteidigungsrecht nicht mehr gedeckt.

Muss man nicht die Beseitigung der Taliban als Voraussetzung für die Machtübernahme von neuen Kräften sehen, die Bin Laden dann Unterstützung und Herberge entziehen?

Das klingt zwar plausibel, hängt aber von sehr vielen Voraussetzungen ab. Würde sich die Situation für Bin Laden denn wirklich verschlechtern, wenn die Nordallianz mit US-Hilfe die Macht in Kabul übernimmt und es dann zu einem neuen langen Bürgerkrieg mit der paschtunischen Bevölkerungsmehrheit kommt? Die Beseitigung des Taliban-Regimes muss immer im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus gesehen werden und darf nicht zum selbstständigen Kriegsziel werden.

Ist der Kampf gegen die Taliban nicht schon deshalb legitim, weil er die von fast allen Staaten der Welt anerkannte afghanische Regierung um Präsident Burhanuddin Rabbani von der Nordallianz wieder an die Macht bringen würde?

Nein, so kann man die Angriffe nicht rechtfertigen. Die Taliban waren seit rund fünf Jahren die faktische Regierung von Afghanistan. Die Staaten der Welt haben diesen Zustand auch de facto akzeptiert, das kann man jetzt nicht mehr mit Gewalt zurückdrehen. Auch im UN-Sicherheitsrat war von dieser Begründung nie die Rede, hier ging es nur um die Selbstverteidigung der USA gegen den von den Taliban unterstützten Terror.

Wären Bombardements gegen Bevölkerungszentren zulässig, um den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und um die Taliban dazu zu bewegen, Bin Laden doch noch auszuliefern?

Nein, auch im rechtmäßigen Krieg, auch für den in Selbstverteidigung handelnden Staat gelten völkerrechtliche Regeln, die die kriegerische Gewalt begrenzen. So dürfen sich Angriffe nur auf militärische Ziele richten. Und auch bei Angriffen auf militärische Ziele sind unverhältnismäßige Begleitschäden bei der Zivilbevölkerung und an zivilen Objekten zu vermeiden. Die psychologische Demoralisierung der Bevölkerung durch gezielte Bombardements auf zivile Ziele ist unzulässig.

Wann ist ein Begleitschaden unverhältnismäßig?

Diese Einschätzung obliegt zunächst einmal den US-Kommandeuren. Wir wissen aus dem Kosovo-Krieg, dass die Bestimmung der Ziele im modernen Luftkrieg ein ziemlich komplizierter und doch rationaler Vorgang ist, in den auch Juristen einbezogen sind. Eine derartige Abwägung von militärischem Nutzen und Risiken für die Zivilbevölkerung kann, in heiklen Fragen – unter Einbeziehung des US-Präsidenten bis zu zwei Tagen dauern.

Und deshalb glauben Sie, dass auch der Einsatz von Streubomben oder von Flächenbombardements mit B-52-Bombern noch verhältnismäßig ist?

Bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich davon aus, dass sich die US-Regierung an die Regeln hält – über deren Auslegung man im konkreten Fall ja auch wieder unterschiedlicher Meinung sein kann. Es ist im Afghanistan-Konflikt allerdings auch keine Instanz in Sicht, die diese Frage verbindlich klären könnte.

Bald wird sich die Bundeswehr an den US-Militärmaßnahmen in Afghanistan beteiligen. Muss sie vorher prüfen, ob der Militäreinsatz noch dem Völkerrecht entspricht?

Natürlich, die Bundeswehr darf sich nicht an völkerrechtswidrigen Einsätzen beteiligen.

Wer aber kann in Deutschland den Charakter der Militäraktionen klären?

Der Bundestag muss der Entsendung deutscher Truppen zustimmen und sollte dabei auch völkerrechtliche Aspekte in Rechnung stellen.

Könnte am Ende auch das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet werden, zum Beispiel weil der Bundestag einen Einsatz bejaht, die PDS jedoch die Rahmenbedingungen für unzulässig hält?

Nein. Wenn der Bundestag zugestimmt hat, kann Karlsruhe dies nicht inhaltlich überprüfen. Es gibt für eine solche Prüfung einfach kein Verfahren im deutschen Verfassungsrecht. Daran ist auch eine Klage der PDS gegen die deutsche Teilnahme am Kosovo-Krieg 1999 gescheitert. Deutsche Gerichte könnten allenfalls auf Umwegen, zum Beispiel wenn es um eine Befehlsverweigerung geht, mit derartigen völkerrechtlichen Fragen befasst werden.

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